Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Frühsommer weiterhin in schwierigem Fahrwasser. Zwar legte die reale Wertschöpfung im ersten Quartal um 0,9 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu; nach der detaillierten Meldung des Statistischen Bundesamtes vom 25.05. lag das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal preis-, saison- und kalenderbereinigt aber um 0,3 Prozent unter dem Vorquartalsniveau. Mit dem vorherigen Rückgang im vierten Quartal 2022 ist damit die Definition einer „technischen“ Rezession erfüllt. Ursächlich hierfür waren neben dem erneut rückläufigen realen privaten Konsum (-1,2 Prozent) und dem Staatskonsum (-4,9 Prozent) auch Sonderentwicklungen infolge der umfangreichen staatlichen Stabilisierungs- und Unterstützungsmaßnahmen, die rechnerisch das BIP-Wachstum gedämpft haben. Eine „ökonomische“ Rezession im Sinne eines länger anhaltenden, tiefen Einbruchs der Wirtschaftsleistung bei unterausgelasteten Kapazitäten, sinkenden Investitionen, einem Rückgang der Beschäftigung und steigender Arbeitslosigkeit ist allerdings derzeit nicht zu erkennen. Vielmehr lag die Kapazitätsauslastung im Verarbeitenden Gewerbe im ersten Quartal nach Angaben des ifo Instituts über dem langjährigen Mittelwert, die Beschäftigung nahm im Vorquartalsvergleich um +0,3 Prozent zu und die Investitionstätigkeit stieg preis-, saison- und kalenderbereinigt mit +3,0 Prozent kräftig.
Gleichwohl deuten aktuelle Konjunkturindikatoren noch nicht auf eine spürbare Belebung im zweiten Quartal hin: Die Auftragseingänge verringerten sich im April nach dem Einbruch im März erneut, wobei zuletzt auch Großaufträge die monatliche Entwicklung bestimmten. Die Produktion im Produzierenden Gewerbe legte im April leicht zu, im Baugewerbe sogar recht deutlich. Insgesamt aber konnte der deutliche Rückgang vom Vormonat nicht ausgeglichen werden. Auch Stimmungsindikatoren wie der ifo Geschäftsklimaindex deuten zuletzt auf eine weniger positive Lageeinschätzung und Perspektive in der Wirtschaft hin. Die erwartete konjunkturelle Erholung in Deutschland scheint sich damit weiter zu verzögern.
Dennoch ist vor dem Hintergrund der rückläufigen Preise auf den globalen Energiemärkten, einer weiter nachlassenden Inflationsdynamik, höheren Lohnabschlüssen und einer erwarteten weltwirtschaftlichen Belebung von einer moderaten konjunkturellen Erholung der deutschen Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf auszugehen.
WELTHANDEL TRITT NOCH AUF DER STELLE
Während die weltweite Industrieproduktion im Berichtsmonat März im Vergleich zum Vormonat stagnierte (-0,1 Prozent), nahm der Welthandel zuletzt wieder etwas zu (+1,5 Prozent). Die globalen Containerumschläge (RWI/ISL-Containerumschlagindex) signalisieren im Berichtsmonat April saisonbereinigt eine moderate Belebung des Welthandels, vor allem aufgrund der deutlichen Ausweitung des Umschlags in den chinesischen Häfen. Auch in Europa deutet sich eine Stabilisierung an. Der Nordrange-Index ist gegenüber März 2023 auf 96,4 Punkte gestiegen, die Trendkomponente weist aber immer noch abwärts. Laut den Schiffbewegungsdaten des Kiel-Trade-Indikator dürfte sich der globale Handel im Mai seitwärts bewegen.
Die OECD erwartet in ihrer aktuellen Prognose vom Juni 2023 eine verhaltene Erholung der weltwirtschaftlichen Aktivität. Die Weltwirtschaft dürfte demnach in diesem Jahr um 2,7 Prozent und im kommenden Jahr um 2,9 Prozent wachsen. Während die wirtschaftliche Aktivität im Euroraum (+ 0,9 Prozent) und in den USA (+ 1,6 Prozent) nur schleppend zulegen dürfte, erwartet die OECD deutlichere Impulse für die Weltwirtschaft von den Schwellenländern (insb. China: +5,4 Prozent, Indien: +6,0 Prozent).
VERHALTENE IMPULSE VOM AUßENHANDEL
Die nominalen Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen haben nach dem deutlichen Rückgang im März (-4,4 Prozent) im April mit +0,7 Prozent gegenüber dem Vormonat wieder etwas zugenommen. Dennoch lagen sie beim Start in das zweite Quartal um 1,3 Prozent unter dem Durchschnitt des Vorquartals. Während die Lieferungen in große Schwellenländer (Brasilien, Mexiko, Indien) nach ersten Schätzungen zuletzt zurückgingen, nahmen die Exporte in die EU wieder zu. Die nominalen Einfuhren von Waren und Dienstleistungen waren im April sowohl gegenüber März 2023 (-0,6 Prozent) als auch gegenüber dem Durchschnitt des ersten Quartals (-2,0 Prozent) weiter rückläufig. Die Wareneinfuhren aus Russland reduzierten sich noch einmal um 8,8 Prozent. Binnen Jahresfrist liegt der Rückgang nunmehr bei fast 90 Prozent.
Im Zuge der gegenläufigen Entwicklung der Aus- und Einfuhren nahm der monatliche Handelsbilanzüberschuss zuletzt wieder von 12,1 Mrd. € im März auf 14,2 Mrd. € im April zu.
Die Entwicklung der Außenhandelspreise folgt weiterhin den rückläufigen Energie- und Rohstoffpreisen sowie der Entspannung bei den Lieferketten- und Materialengpässen. Die Terms of Trade verbesserten sich im April erneut um 1,3 Prozent gegenüber dem Vormonat, da sich die Einfuhren stärker verbilligten (-1,7 Prozent) als die Ausfuhren (-0,4 Prozent). In realer Betrachtung dürfte der Anstieg der Exporte im April also etwas stärker ausgefallen sein, die Importe dürften real ebenfalls leicht gestiegen sein.
Die Frühindikatoren geben aktuell verhalten positive Signale für den Außenhandel. Der Stimmungsindikator von S&P Global liegt seit Februar über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten und hat im Mai einen Wert von 54,4 erreicht. Impulse kamen dabei allerdings nur aus dem Dienstleistungsbereich. Die Stimmung in der Industrie hat sich zuletzt nicht verbessert, der Index verharrt seit März bei 49,6 Punkten. Stützend dürfte auch die Entspannung bei den Lieferketten wirken. Im April berichteten nur noch 35,3 Prozent der vom ifo Institut befragten Industrieunternehmen von Materialengpässen, nach 39,2 Prozent im März.
Dagegen gingen die Auftragseingänge aus dem Ausland im Vormonatsvergleich nach dem Einbruch im März (-13,1 Prozent) im April noch einmal um 1,8 Prozent zurück. Sowohl die Bestellungen aus dem Euroraum (-2,7 Prozent) als auch aus dem Nicht-Euroraum (-1,1 Prozent) verringerten sich. Auch im weniger schwankungsanfälligen Dreimonatsvergleich lagen die Auftragseingänge aus dem Ausland im Minus (-2,3 Prozent).
Die ifo Exporterwartungen haben sich im Mai mit einem Saldo von +1,8 Punkten wieder etwas eingetrübt, nachdem sie zuvor zwei Monate in Folge gestiegen waren. Sofern die Exporterwartungen im Juni nicht weiter zurückgehen, weist der Trend aber immer noch auf einen verhaltenen Anstieg der Ausfuhren im zweiten Quartal hin. Die Schiffbewegungsdaten des Kiel-Trade-Indikator deuten für die (realen) deutschen Exporte eine moderate Zunahme im Mai gegenüber dem Vormonat an.
PRODUKTION STABILISERT SICH NACH DÄMPFER
Die Produktion im Produzierenden Gewerbe ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im April gegenüber dem Vormonat um 0,3 Prozent gestiegen, nachdem sie im März deutlich gefallen war (aufwärtsrevidiert von -3,4 Prozent auf -2,1 Prozent). Der Ausstoß in der Industrie blieb im April nahezu unverändert (+0,1 Prozent), im Baugewerbe kam es zu einem Plus von 2,0 Prozent. Der Bereich Energie meldete einen Rückgang um 1,5 Prozent.
In den Wirtschaftszweigen der Industrie verlief die Entwicklung differenziert: Die Hersteller von pharmazeutischen Erzeugnissen steigerten ihre Produktion kräftig um 6,4 Prozent. Die gewichtigen Bereiche Kfz und Kfz-Teile sowie Maschinenbau verzeichneten hingegen Abnahmen um 0,8 Prozent bzw. 0,5 Prozent. Auch die meisten der besonders energieintensiven Wirtschaftszweige haben ihren Ausstoß im Vormonatsvergleich zurückgefahren: Herstellung chemischer Erzeugnisse -1,4 Prozent, Kokerei und Mineralölverarbeitung -3,2 Prozent, Glas, Glaswaren und Keramik -2,4 Prozent sowie Papier und Pappe -0,5 Prozent. Die Bereiche Metallerzeugung und -bearbeitung sowie Metallerzeugnisse konnten indes im Vergleich zum Vormonat zulegen (+1,2 Prozent bzw. +0,2 Prozent).
Die Auftragseingänge im Verarbeitenden Gewerbe sanken im April gegenüber dem Vormonat nur leicht um 0,4 Prozent und entwickelten sich damit nach dem starken Einbruch im März (-10,9 Prozent) auch zu Beginn des zweiten Quartals schwach. Allerdings ist der Vormonatsvergleich aktuell stark durch Schwankungen bei Großaufträgen geprägt, ohne diese ergibt sich im April ein Plus von 1,4 Prozent. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft leidet dabei besonders unter der schwachen Weltwirtschaft und dem Rückgang der Bestellungen aus dem Euroraum (-2,7 Prozent). Die Nachfrage im Inland hält sich dagegen vergleichsweise stabil (+1,6 Prozent).
Die konjunkturelle Grunddynamik in der Industrie hat sich spürbar abgeschwächt: Die vorlaufenden Indikatoren zeigen im April zwar teilweise eine gewisse Stabilisierung, nachdem es im März zu deutlichen Rückgängen gekommen war. Die zu beobachtenden hohen Schwankungen, die Revisionsanfälligkeit sowie die zum Teil widersprüchlichen Signale der Indikatoren sind an konjunkturellen Wendepunkten nicht ungewöhnlich. Insgesamt ist von einer zunächst noch verhaltenen konjunkturellen Erholung in der Industrie auszugehen.