Aktuell stehen viele Unternehmen vor großen Herausforderungen: Das Geschäftsmodell ist zu rekonfigurieren, Prozesse sowie deren Skalierung sind neu zu justieren, die teilweise mit der Brechstange zwangsverordnete Digitalisierung in Bezug auf Heimarbeit für die Zeit nach der Krise sinnvoll fortzusetzen. „Nach Corona“ bedeutet jedoch nicht, mit der Unternehmensstrategie dort anzusetzen, wo man „vor Corona“ aufgehört hat! Die Welt und damit auch die Märkte und Kunden werden sich deutlich verändern.
Wie verändern sich Kundenverhalten und Informationssuche?
So ist davon auszugehen, dass in vielen Märkten die Corona-Pandemie deutliche Spuren in den Kundeneinstellungen, -erwartungen und -verhaltensweisen hinterlassen wird. Vieles, was in der Zeit der Krise gut funktioniert hat, werden wir beibehalten. Beispielhaft werden auch die letzten hartgesottene Online-Einkaufsverweigerer Amazon und Co. Umsätze bescheren. Die stationär häufig argumentierte Beratungsfunktion fällt häufig noch weitestgehend weg, auch die Informationssuche verlagert sich noch stärker ins Internet. Wird sich die Einstellung zu Fernreisen, Individualverkehr, Schulsystem, Versorgung, Außerhaus-Verzehr, Shopping, Umwelt und anderen Bereichen nachhaltig verändern? Nimmt die beschleunigte digitale Transformation der gesamten Gesellschaft Entwicklungen der Zukunft nur voraus oder feiern einige Branchen eine echte Renaissance, sobald die Pandemie beendet ist? Für die Unternehmen bedeuten diese Unsicherheiten in jedem Fall: Neubewertung von Marktvolumina, -segmenten, Vertriebskanälen und Ländermärkten einerseits und neue/veränderte Nutzenerwartungen der Kunden andererseits: Was will der Kunde zukünftig?
Wie mit der Kundenschnittstelle in der neuen Realität umgehen?
In einer digitalen Welt entstehen Wettbewerbsvorteile künftig vor allem durch bessere und schnellere Interpretation von Daten, durch größere Reagibilität, durch früheres Wissen und somit bessere Entscheidungen. Insofern ist es wichtiger denn je, sich methodisch sauber mit dem Kunden und seinen Bedürfnissen in der Tiefe auseinanderzusetzen und im Rahmen der Transformation das Leistungsangebot noch kundenzentrierter auszurichten. Ziele sind eine stärkere Kundenbindung sowie Neukundengeschäft und eine bessere Ausschöpfung der Kundenpotenziale. Gleichzeitig ermöglicht die genaue Kenntnis der Kundenprozesse die Steigerung der eigenen Effizienz, z.B. durch gezielte Budget-Allokation und Entwicklungsarbeit. Ein probates Mittel für ein besseres Kundenverständnis ist die intensive Beschäftigung mit der Customer Journey des Kunden. Dies gilt im B2C-Bereich auf individueller Ebene genauso wie im B2B-Bereich bei Betrachtung des gesamten Buying-Networks. Entlang der Kaufphasen werden die unterschiedlichen Berührungspunkte der Kunden mit dem Unternehmen analysiert und bewertet.
Entscheidend ist die Frage, wie sich diese Kundenschnittstellen zukünftig verändern und was das für die Unternehmensprozesse nach der Krise bedeutet. Welche persönlichen Berührungspunkte verlieren langfristig an Bedeutung, welche neuen z.B. digitalen Berührungspunkte kommen hinzu oder müssen ganz bewusst geschaffen werden? Diese Veränderungen im Kaufverhalten und abgeleitet daraus in den Marktmechaniken zu erkennen und zu antizipieren, kann Unternehmen einen besonderen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Voraussetzungen hierfür sind neben einem sauberen Datenmodell und der richtigen Toolunterstützung, das institutionalisierte Erheben, Qualifizieren und Interpretieren von Kundendaten.
Fazit: Die Krise als Chance begreifen
Insgesamt geht in der Krise persönlicher Kontakt verloren, Kreativität und das unmittelbare Feedback des Gegenübers leiden unter den digitalen Hilfsmitteln. Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung mit großen Schritten voran und die Customer Journey verändert sich in vielen Branchen. Dadurch ergeben sich auch zahlreiche Chancen. Max Frisch sagte einst „Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Viele Unternehmen sehen die Situation derzeit als Katastrophe. Die Herausforderung über kurzfristige Maßnahmen, Redimensionierung und Transformation das Unternehmen in eine neue Erfolgsposition zu führen ist zweifellos gewaltig. Letztendlich wird die Nutzung aller Potenziale der Transformation die wirkungsvollste Methode sein, um den Rucksack der Corona-Pandemie loszuwerden und die für Markt und Wettbewerb notwendigen Freiheitsgrade zurückzugewinnen. Hierfür ist es notwendig, die künftigen Kundenprozesse und -bedürfnisse genau zu kennen und zu antizipieren. Daraus können dann sowohl Wachstum- als auch Effizienzvorteile abgeleitet werden.
Kommentar von Dr. Johannes Berentzen, Mitglied der Geschäftsleitung bei Dr. Wieselhuber & Partner