Herausfordernde Konjunktur trotz Megatrends

„Die Vorzeichen der Hannover Messe 2025 sind ambivalent für die deutsche Elektro- und Digitalindustrie: Auf der einen Seite sehen wir die große Dynamik, die in der Elektrifizierung und Digitalisierung steckt. Auf der anderen Seite bleibt das konjunkturelle Umfeld herausfordernd“, sagt ZVEI-Präsident Dr. Gunther Kegel anlässlich einer Pressekonferenz auf der Hannover Messe. Die Branche kämpfe weiterhin mit zu hohen Belastungen durch Bürokratie und Steuern sowie großen Unsicherheiten in den globalen Handelsbeziehungen. „2025 wird die reale Produktion voraussichtlich um zwei Prozent zurückgehen“, erklärt der ZVEI-Präsident.

Die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Elektro- und Digitalindustrie ist im vergangenen Jahr nur moderat, um zwei Prozent auf rund 890.000 gesunken. „Die nahezu konstant hohe Beschäftigungszahl werden die Unternehmen nicht halten können, wenn die Konjunktur nicht schnell anspringt“, mahnt Dr. Kegel. Positiv bewertet der Verband den leichten Anstieg bei den Auftragseingängen zum Jahresanfang um zwei Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. „Das ist ein erstes Signal, dass sich der Markt stabilisiert – wenn auch auf niedrigem Niveau“, so Kegel. „Eine Trendumkehr sehen wir allerdings noch nicht.“ Hoffnung setzt die Branche in die angekündigten Infrastrukturmaßnahmen der kommenden Bundesregierung: Das Sondervermögen könne einen wichtigen Impuls geben – wenn es zügig in konkrete Investitionen zur Modernisierung des Landes münde. Hohe Investitionsbedarfe sieht der ZVEI insbesondere beim Ausbau der Stromnetze, der Dekarbonisierung des Gebäudesektors sowie bei Schlüsseltechnologien wie Mikroelektronik und Batterien. „Darüber hinaus muss die nächste Bundesregierung dringend notwendige Strukturreformen umsetzen, die langfristig wieder höheres Wachstum ermöglichen“, fordert Dr. Kegel. „Anderenfalls droht, dass das Sondervermögen als Strohfeuer verpufft.“

Industrielle KI: Der nächste Evolutionsschritt für Industrie 4.0

Ein enormes Potenzial für die Branche sieht der Verband in der Anwendung von Künstlicher Intelligenz. „KI ist der neue Schraubenschlüssel der Industrie“, sagt Kegel. „Wer auf dieses Werkzeug verzichtet, steht mit bloßen Händen an der Maschine.“ Deutschland sei bei der Entwicklung von leistungsfähigen KI-Anwendungen deutlich weiter, als in der Breite wahrgenommen werde. „Nahezu alle Automatisierer bieten bereits KI-gestützte Lösungen“, betont Kegel. Die intelligente Vernetzung und Steuerung ergebe enorme Potenziale für Produktinnovationen, aber auch für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts: „Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie hat in diesem Feld weltweit eine Führungsrolle inne und will diese ausbauen.“

Erst rund ein Fünftel der Industriedaten würden bereits genutzt. Kegel: „Die Unternehmen möchten das große Potenzial von industrieller KI vollständig ausschöpfen.“ Der regulatorische Rahmen müsse dazu aber so ausgestaltet sein, dass er dem nicht im Weg stehe. Der ZVEI fordert, KI-Verordnungen so bürokratiearm und gleichzeitig rechtssicher wie möglich zu gestalten. Harte Vorschriften sollten auf wenige kritische Anwendungsfälle beschränkt bleiben. Hohe Compliance- und Zertifizierungskosten von bis zu 300.000 Euro pro KI-Anwendung würden aktuell viele kleine und mittlere Unternehmen überfordern und Innovation im Keim ersticken. Kegel: „Noch liefern wir das Betriebssystem der globalen Industrie. Aber durch zu viel innovationshemmende Regulatorik droht, dass wir vom nächsten amerikanischen oder chinesischen Software-Update abgehängt werden.“

eMonitor des ZVEI belegt deutliche Fortschritte bei Elektrifizierung

Für die kommenden Jahre ist der ZVEI dennoch optimistisch: „Die Megatrends Elektrifizierung, Digitalisierung und Automatisierung sind intakt und werden der Branche wieder Auftrieb geben“, gibt sich Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, zuversichtlich. Abzulesen sei dies unter anderem am eMonitor des Verbands. Sowohl die Zahl der E-Ladepunkte (+ 33 Prozent) als auch die Speicherkapazität von batteriebasierten Gewerbe- und Großspeichern (+ 45 Prozent) wuchsen im Vergleich zum Vorjahr deutlich – und das nochmals schneller als in den Jahren bis 2023. „In einem schwierigen Umfeld zeigt der Trend zur Elektrifizierung eine weitgehende Resilienz gegenüber Unsicherheiten“, äußert sich Weber über den Fortschritt beeindruckt. „Der Umbau zu einer dekarbonisierten Industriegesellschaft schreitet voran, daher dürfen wir bei den Ausbauplänen der erneuerbaren Energien wie auch der Strominfrastruktur nicht nachlassen.“

Um weiter Tempo aufnehmen zu können, dürften die Kosten der Energiewende jedoch nicht mehr einseitig den Stromverbrauchern aufgebürdet werden. „Die Leistungsfähigkeit der deutschen Industrie steht und fällt mit dem Strompreis. Deshalb muss dieser dauerhaft auf ein wettbewerbsfähiges Niveau sinken – und zwar für alle Verbrauchergruppen“, fordert Weber. Bei wettbewerbsfähigen Strompreisen werde sich die Elektrifizierung allein aus wirtschaftlichen und Effizienzgründen durchsetzen. „Dass in den Koalitionsgesprächen eine Senkung des Strompreises um fünf Cent pro Kilowattstunde durch die Reduzierung der Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß und die Halbierung der Netzentgelte in Aussicht gestellt wurde, ist gut und richtig. Die neue Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen.“

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