„Digitale Events: Für die meisten Aussteller keine dauerhafte Alternative“ – das ist die Überschrift einer kürzlich erschienen Studie der AUMA, Verband der deutschen Messewirtschaft. Eine deutliche Aussage, doch aktuell bleibt der Elektrobranche keine andere Wahl. Die Corona-Pandemie macht einen Strich durch die Rechnung und quasi über Nacht mussten die Messen ihr Denken und Handeln umstellen. Auch in diesem Jahr flattern die ersten Terminverschiebungen oder digitale Alternativen in die Postfächer. Ende Januar wurde bekannt, dass die eltefa nicht wie geplant im April stattfinden kann. Ein Alternativtermin im Juli wird geprüft, im Frühling werden alle branchenrelevanten Aussteller zu diesem Szenario befragt. Wie geht es nun in der Messewirtschaft weiter? Die ElektroWirtschaft hat dazu mit Andreas Müller, Messebeauftragter des ZVEI und geschäftsführender Gesellschafter der Doepke Schaltgeräte GmbH, gesprochen.
ElektroWirtschaft: Herr Müller, Sie haben als Geschäftsführer von Doepke und Messebeauftragter des ZVEI in der Vergangenheit zahlreiche Messen begleitet und können somit aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Aber Messen werden nicht kurzfristig geplant. In Sachen Einladungen, Stand-Kapazitäten, aber auch Budgetierungen dürfte man im Rahmen der Messe- Organisation von anderen Umständen ausgegangen sein. Wie sehr wirft die derzeitige Situation die Messeplanungen über den Haufen?
Andreas Müller: Ganz einfach: Sie haben dann diese Möglichkeit der Produktvorstellung nicht. Aber um das aufzufangen, sind wir alle sehr kreativ gewesen und haben uns ganz stark in Richtung Digitalisierung und Kommunikation verändert, quasi über Nacht. Natürlich würden wir gerne unsere Messen ausrichten und besuchen. Aber das geht eben aktuell nicht. Was wir jetzt aus der Taufe gehoben haben, das sind gute Alternativen, aber kein Ersatz für die Messen, die derzeit nicht stattfi nden können.
ElektroWirtschaft: Manche Leitmessen setzen künftig auch oder ergänzend auf ein digitales Messeformat. Das ist teuer in der Entwicklung und zeitintensiv in der Umsetzung. Ist es der richtige Weg?
Andreas Müller: Das ist momentan der Weg, der am gangbarsten als Ersatz ist. Wir sehen im Rahmen des technischen Fortschritts die digitalen oder hybriden Messen als Zwilling an, als das ergänzende Instrument, um Messen künftig noch interessanter und stärker zu machen. Zurzeit ist es ein Ersatz, an dem wir üben. Aber ich denke, in Zukunft wird es auch für unsere physisch stattfindenden Messen einen digitalen Zwilling geben – für Menschen, die sonst nicht kommen könnten, digital aber dennoch daran teilnehmen können. Durch digitale Angebote ergeben sich ja oft auch ganz neue Kontakte.
ElektroWirtschaft: Denken Sie, dass sich das Format der Light + Building verändern muss? Dass die Messe künftig auf jeden Fall als Hybridmesse veranstaltet werden sollte?
Andreas Müller: Ich gehe davon aus, dass wir bei der Light + Building 2022 schon ein zusätzlich digitales Angebot haben werden. Ich bin ja auch im Messebeirat der Light + Building, dazu im Strategiekreis der Messe Frankfurt und natürlich beschäftigt man sich damit. Damit verrate ich jetzt nicht zu viel.
ElektroWirtschaft: Was würden Sie Messen oder Messe- Standorten raten, wie eine solche Plattform aussieht und welche Features sie aufweisen sollte?
Andreas Müller: Ich denke, eines kann man den Messen raten: Sie sollten sich an der physischen Messe orientieren und versuchen, das digital abzubilden, was normalerweise auch physisch stattfindet. Aber im 24/7-Modus. Dann habe ich eine Messe nicht nur zu der Zeit, in der sie sonst stattfindet, sondern kann sie über einen ganz anderen Zeitraum hinweg bespielen.
ElektroWirtschaft: Aber eine Messe lebt von der persönlichen Begegnung und es ist schwierig, so etwas einzurichten.
Andreas Müller: Es ist ein Riesenaufwand. Auch das Thema 5G spielt eine Rolle. Das 5G-Netz muss in den Messehallen angeboten werden, um eine Netzüberlastung zu vermeiden. Die Aussteller können dann direkt an ihren Ständen WLAN zur Verfügung stellen. Das funktioniert bei unseren derzeitigen Netzen allerdings gar nicht. Aber in Zukunft geht das. Und wenn sich die Messegesellschaften in diese Richtung orientieren und ein entsprechendes Angebot schaffen, würde das ganz sicher von den Unternehmen angenommen werden.
ElektroWirtschaft: Manche Messen setzen auf eine Verschiebung und hoffen, dass die Messe physisch stattfinden kann. Halten Sie das Beharren auf dem alten Konzept für richtig?
Andreas Müller: Ich halte das auch aufgrund der nicht so schnell umsetzbaren digitalen Form derzeit noch für richtig. Deshalb sind wir im Jahr 2020 auch auf Sicht gefahren. Wir haben die Messen verschoben, um sie anschließend doch absagen zu müssen. Das hat bei der Industrie erheblich für Frust gesorgt. Aber angesichts der aktuellen Pandemielage plädieren wir dafür, Vernunft walten zu lassen und die aktuell geplanten Frühjahrsmessen nicht erneut zu verschieben. Die Gefahr, dass man Messen nachhaltig schädigt, indem man sie unbedingt stattfinden lassen will, ist nicht gering. Ob der überwiegende Teil der Menschen, die normalerweise anreisen würden, überhaupt zu der Messe käme oder wir in der Lage wären, so rasch eine digitale Messe aufzuziehen, da mache ich noch ein großes Fragezeichen. In Zukunft sehe ich das, aber nicht in diesem Jahr. Auch nicht so, wie ein heutiges Messekonzept aussieht.
ElektroWirtschaft: Wäre es ehrlicher, in diesem Jahr gar keine Messen zu veranstalten?
Andreas Müller: Ich weiß aus der Branche heraus, dass sich einige Unternehmen dazu entschieden haben, dass es für sie im Jahr 2021 keine Messebeteiligung geben wird. Wir von Doepke werden bis Ende Juni an keiner physischen Veranstaltung teilnehmen. Mal ganz realistisch: Bis wir so weit sind, dass wir über die Impfungen tatsächlich eine gewisse Immunität erreichen, ist es Juli. Und dann sagen wir: Wir machen Ende August die erste Messe? Das kriegen wir doch gar nicht organisiert. Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir nach heutigem Stand bis auf eine geplante efa in Leipzig, die als Testballon für eine neue Light + Building 2022 gelten könnte, ganz wenige Chancen auf eine stattfi ndende Regionalmesse haben.
ElektroWirtschaft: Die Messe elektrotechnik wurde von Februar auf Ende September verschoben und ist fest eingeplant. Was halten Sie davon?
Andreas Müller: Seitens der Veranstalter wurde das so mitgeteilt. Die Stimmung bei den Unternehmen ist aber eine völlig andere. Aus meiner Sicht wird das nur noch eine Rumpfmesse sein. Wir müssen ja auch das Infektionsgeschehen in diesem Zeitraum im Auge behalten.
ElektroWirtschaft: Manche Hersteller setzen auf Social Media, um ihre Neuigkeiten zu präsentieren. Ist das ein denkbares Modell für die Zukunft oder eine Notlösung?
Andreas Müller: Ich sehe das im B2B-Business als ergänzendes Format. Ein Fehlerstromschutzschalter von Doepke muss ganz anderes beworben werden als ein Smartphone oder eine Waschmaschine. Das kann man nicht miteinander vergleichen. Da geht es um Sicherheit, Menschenleben oder Vermögenswerte. Über diese Kanäle ist das eine andere Geschichte als ein schönes und schickes Smartphone. Das braucht eine andere Ebene der Ansprache.
ElektroWirtschaft: Es werden ja von den Herstellern sehr viele innovative Produkte entwickelt. Wie werden die Produkte in diesem Jahr präsentiert?
Andreas Müller: Es gibt Web-Seminare und klassische Veranstaltungen, die dann digital stattfi nden, aber auch Trucks, die unterwegs sind. Es gab die „Digital Days“, die in der ganzen Region stattgefunden haben, zu denen Kunden unter Hygienebedingungen eingeladen wurden, nach vorheriger Terminierung und so weiter. Man muss sich immer die Frage stellen: Was habe ich für Kunden und wie muss ich sie ansprechen? Wir bei Doepke beispielsweise konnten 2020 gar keine Werksbesichtigung stattfinden lassen und haben uns stattdessen auf interaktive Online-Formate konzentriert.
ElektroWirtschaft: Sie hatten die technischen Voraussetzungen für digitale Formate mit Blick auf den 5G-Standard bereits angesprochen. Asien ist auf diesem Feld weiter und könnte dem Messe-Standort Deutschland den Rang ablaufen. Sehen Sie die Gefahr?
Andreas Müller: Die Gefahr, dass unsere großen Messen nach Asien oder in die USA abwandern könnten, ist nicht neu und hat mit der Pandemie nichts zu tun. Das ist schon seit vielen Jahren so. Da sind wir natürlich sehr angehalten, nach Fernost oder ins Ausland zu schauen, was da passiert. Leitmessen, wie die Light + Building, müssen aber vor Ort stattfinden, das ist für uns gesehen hier der größte Markt. Wenn wir das nicht behutsam genug behandeln und energisch genug unterstützen, besteht sehr wohl die Gefahr, dass aus dem Ausland heraus versucht wird, dieses Label zu kopieren und dort eine Ersatzmesse zu schaffen. Dann dürfen wir in Zukunft als Hersteller irgendwo hinfliegen, um dann dort eine Messe zu eröffnen, die sich dann Welt-Leitmesse nennt für Gebäude und Licht. Genau das gilt es zu verhindern.
ElektroWirtschaft: Sehen Sie für die Zukunft eine Veränderung der Messe-Landschaft?
Andreas Müller: Ich bin ein vehementer Streiter für physisch stattfindende Fachmessen in Deutschland. Wie so vieles wird sich auch die Messe-Landschaft verändern. Die Frage ist nur: Wann und wie? Der Wunsch ist natürlich weiterhin, eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, sei das in einem kleineren Rahmen in Form von Regionalmessen oder im großen Stil der Light + Building. Am Ende entscheidet jeder Unternehmer selbst, auf welche Messe er geht – und jeder Fachmann und Handwerker entscheidet selbst, welche Messe er besucht. Mein Favorit für dieses Jahr wäre, dass es uns irgendwie gelingt, zu vertretbaren Hygienemaßnahmen eine efa in Leipzig zu bespielen. Wenn das nicht gelingt, ist der komplette Neustart der Light + Building 2022 dran. Wir haben dann vier Jahre keine Light + Building gehabt und dann geht es wieder los, um unsere Welt-Leitmesse zu präsentieren.
Das Interview wurde am 13. Januar 2021 geführt: Gudrun Arnold-Schoenen, Herausgeberin und Chefredakteurin der ElektroWirtschaft. Redaktion: Sven Schneider (freier Redakteur)
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus der Februar-Ausgabe der ElektroWirtschaft. Als Printabonnent haben Sie fünf Zugriffe auf die digitale Ausgabe inklusive. Stöbern Sie ansonsten in unserem Shop.