Dr. Ralf Petri, Geschäftsbereichsleiter Mobility im VDE e.V, spricht im Interview über das Zusammenspiel von Normen und der Elektromobilität und erklärt, welche weiteren Schritte für eine erfolgreiche Ladeinfrastruktur notwendig sind.
ElektroWirtschaft: Lockdown, Mutationen, Impfstrategien – die Liste rund um Corona ist lang. Dadurch rücken wichtige Themen, wie beispielsweise die Elektromobilität, in den Hintergrund. Kann das gefährlich werden?
Dr. Ralf Petri: Corona ist weltweit ein stark einschneidendes Ereignis und dementsprechend stark in den medialen Schlagzeilen sowie der öffentlichen Wahrnehmung vertreten. Das Gefühl, dass dabei Themen wie z.B. die Elektromobilität in den Hintergrund rücken, täuscht. Die Elektromobilität ist in der Gesellschaft, Politik und Industrie omnipräsent und wird vorangetrieben. So konnten wir als VDE bis jetzt keinen Rückgang von Normungs- sowie Prüfungs- und Zertifi zierungsaktivitäten rund um die Elektromobilität verzeichnen. Vielmehr haben einige Themen, wie z.B. die Elektrifi zierung von schweren Nutzfahrzeugen, deutlich an Fahrt aufgenommen.
ElektroWirtschaft: Den Leitungsposten des VDE Geschäftsbereichs Mobility haben Sie Ende letzten Jahres übernommen, mitten in der Corona-Zeit. Was haben Sie sich vorgenommen?
Dr. Ralf Petri: Der Mobilitätssektor ist im Umbruch hin zur Elektrifi zierung und das bei nahezu allen Verkehrsträgern, ob nun Scootern, PKW, schweren Nutzfahrzeugen oder dem Schienenverkehr. Damit ist die Entscheidung im VDE, einen Geschäftsbereich Mobility zu etablieren, folgerichtig. Innovative Technologien eröffnen neue Möglichkeiten, bringen aber auch gänzlich neue Herausforderungen mit sich. Hier möchten wir als eine, der größten Technologie-Organisationen im elektro- und informationstechnischen Bereich unsere knapp 130-jährige Erfahrung einbringen. Dabei decken wir die Wertschöpfungskette von der frühen Phase durch Studienleistungen über die Normung/Standardisierung hin zur Prüfung/Zertifizierung sowie die abschließende Beratung komplett ab. Stichwort Studie: Als nächstes werden wir einen Meinungsführer-Report veröffentlichen, bei dem wir hochrangige Persönlichkeiten aus der Wirtschaft sowie der Politik zum Antriebsportfolio der Zukunft interviewt haben.
ElektroWirtschaft: Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht Normen und Standards, um einen erfolgreichen Markthochlauf von Elektrofahrzeugen zu gewährleisten?
Dr. Ralf Petri: Aus meiner Sicht sehr wichtig und das sage ich nicht, weil wir mit VDE DKE eine Normungsorganisation in der VDE-Gruppe haben. Stellen Sie sich praktisch einmal vor, wie es ist, wenn die Ladesysteme für die Elektrofahrzeuge nicht genormt wären. Dann hätte im Zweifel jeder Hersteller ein eigenes System. Wie es der Zufall dann manchmal will, benötigen Sie auf der Fahrt dringend Strom, Sie sehen eine Ladesäule und atmen auf, um dann vor Ort festzustellen, dass Sie Ihr Fahrzeug ausgerechnet an dieser Ladesäule nicht laden können – keine schöne Erfahrung.
ElektroWirtschaft: Woher kommt der Irrglaube, dass Normen und Standards die Technologieentwicklung verlangsamen?
Dr. Ralf Petri: Ich denke, das hat in der Wahrnehmung mit der Geschwindigkeit bei der Erstellung einer Norm zu tun. Eine international harmonisierte Norm benötigt im Schnitt drei Jahre. Hört sich nach viel an, ist aber gar nicht mal so lange, wenn man den dahinterstehenden Normungsprozess versteht. Vereinfacht dargestellt fängt dieser mit einer Normungsidee bzw. einem -antrag oder der Etablierung eines Normungsgremiums an, das aus Fachleuten besteht. Diese erarbeiten einen ersten Normenentwurf, der zunächst in die öffentliche Kommentierung und ggf. in eine Einspruchsberatung geht. Ist dieser Prozess vollzogen, wird die Norm fi nalisiert und in die nationale sowie europäische bzw. internationale Abstimmung gegeben. Alles mit dem Ziel, in einer Norm diskriminierungsfrei einen möglichst breiten technischen Lösungsspielraum zu beschreiben. Das funktioniert so gut, dass z.B. das zunächst in Europa verwendete Ladesystem CCS Combo 2 aktuell in vielen Teilen der Erde, darunter Brasilien, Südafrika, Indien oder Australien angewendet wird.
ElektroWirtschaft: Man arbeitet weiterhin an einem weltweiten Standard für die Elektromobilität, nicht nur im Zusammenhang mit der Ladeinfrastruktur. Warum geht es nicht schneller vorwärts?
Dr. Ralf Petri: Zusätzlich zu dem oben erläuterten Normungsprozess, der eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, gibt es gerade im Bereich der Elektromobilität weltweit viele Stakeholder, die ihre technischen Lösungen, Kommentare etc. sowohl national als auch auf europäischer bzw. internationaler Ebene einbringen – je mehr Stakeholder beteiligt sind, desto langwieriger und komplexer gestaltet sich die Konsensfindung, schließlich ist Normung dadurch geprägt, Sicherheit, Austauschbarkeit und Kompatibilität zur Steigerung von Effizienz und Produktivität mit einer hohen Akzeptanz zu erzeugen. Dies muss erst mal erreicht werden.
ElektroWirtschaft: Auch das Netz der Ladeinfrastruktur wird immer weiter ausgebaut. Wie sieht das Laden der Zukunft aus?
Dr. Ralf Petri: Ich denke aktuell ist der Ladeprozess beim Elektrofahrzeug noch stark durch den Tankvorgang beim Verbrenner inspiriert. Bedeutet, wir haben eine Ladesäule, einen Ladestecker sowie ein Kabel ähnlich wie Tanksäule, Zapfhahn und Schlauch. Dieses stöpsele ich dann seitlich oder von vorne ins Fahrzeug ein. Aktuelle Ansätze, die sich auch bereits in der Normung befi nden, gehen Richtung induktives Laden, also dem berührungsfreien Laden. Dieses Ladesystem kennt man bereits aus dem Handy oder der Zahnbürste im Bad. Ein weiterer vielversprechender Ladeansatz ist das automatisierte konduktive Laden (automatisiertes Laden mit Ladekabel). Dabei fahren Sie oder später mal das Fahrzeug von ganz alleine z.B. zu einem Laderoboter, der sich dann ganz automatisch mit dem Fahrzeug verbindet und den Ladeprozess startet. Wie Sie sehen sind die Möglichkeiten vielfältig. Wir stehen dabei gerade erst am Anfang, die Welt der Elektromobilität zu gestalten.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus der April-Ausgabe der ElektroWirtschaft. Als Printabonnent haben Sie fünf Zugriffe auf die digitale Ausgabe inklusive. Stöbern Sie ansonsten in unserem Shop.
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