Zum Auftakt der Hannover Messe 2025 skizziert BDI-Präsident Peter Leibinger auf einer gemeinsamen Pressekonferenz von BDI, VDMA und ZVEI die Lage der Industrie und hebt die Bedeutung von Strukturreformen und Innovation hervor, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts langfristig zu sichern.
Die deutsche Wirtschaft macht. Sie packt an, erfindet und entwickelt. In den Messehallen vibriert die Energie. Das macht die Faszination dieser Tage aus. Gleichzeitig ist die Stimmung bei sehr vielen Unternehmen aus Deutschland derzeit so schlecht, wie ich es noch nie erlebt habe. Die Geopolitik macht langfristige Planungen schwierig. Wir haben nicht nur konjunkturelle, sondern strukturelle Probleme. Wir rechnen 2025 mit einem weiteren Rückgang der Industrieproduktion, das wäre der vierte Rückgang in Folge.
Das dritte Jahr wirtschaftlicher Rezession schlägt sich auch massiv bei der Industrieproduktion nieder. Alle Augen richten sich deshalb auf das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Wir brauchen einen großen Wurf. Eine mutige Reformagenda mit der Kernbotschaft: Wir haben verstanden, was die Stunde geschlagen hat. Die Industrie fordert eine Bundesregierung, die mit großen Schritten auf Wachstum setzt und so die Stimmung im Land dreht. Wir brauchen eine Zeitenwende in den Köpfen und dabei müssen diejenigen in Führungspositionen vorangehen. Die Bundesregierung in der Politik, die Vorstände in den Unternehmen. Wir alle wissen: Es wird anstrengend. Aber es wird sich lohnen. Wir in Europa haben die Kraft, wieder zum attraktivsten Standort weltweit zu werden.
Die Mittel für einen Neustart in Deutschland sind vorhanden. Es war richtig, dass Union und SPD mit den Grünen den finanziellen Spielraum dafür geschaffen haben, für Deutschlands Sicherheit und für dringend notwendige staatliche Investitionen. Jetzt muss das richtige Konzept dazu folgen.
Das Land steht vor einer Mammutaufgabe. Staatliche Reformen und Investitionen müssen privates Kapital mobilisieren. Damit das gelingt, sehen wir als Industrie vier Prioritäten:
- Deutlich weniger Bürokratie.
- Die Steuerlast der Unternehmen muss auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau gesenkt werden.
- Die Energieversorgung muss planbar und bezahlbar sein.
- Die Innovationskraft des Standorts Deutschland muss entfesselt werden.
Warum ist die Bürokratie so ausgeufert? Wesentliche Teile der Politik und Gesellschaft begegnen Unternehmen mit Misstrauen. Wer misstraut, setzt auf Kontrolle. In Deutschland haben wir die Kontrolle perfektioniert, in fast allen Lebensbereichen. Und immer mehr Menschen und Unternehmen erleben Kontrolle nicht mehr als Schutz, sondern als Fessel. Wir müssen diese Fesseln lösen. Wir brauchen einen spürbaren großen Akt der Befreiung. Kein kleines Karo.
Was die Steuerlast angeht, beginne ich mit der Weisheit der Landwirte: Es gibt Zeiten, in denen man säen muss und Zeiten, in denen man ernten kann. Vor uns liegt jetzt eine Periode, in der wir wieder säen müssen. Auf Unternehmen übersetzt, bedeutet das: Es ist eine Zeit für notwendige Investitionen. Aber investiert wird nur, wenn das Geld dafür da ist. Deshalb liegt es im Eigeninteresse des Staates, den Unternehmen mehr Spielräume für Investitionen zu geben.
Wir setzen darum darauf, dass die neue Bundesregierung den Einstieg in eine Unternehmenssteuerreform schnell umsetzt. Eine Steuerbelastung von höchstens 25 Prozent muss das Ziel sein. Diese Senkung soll für alle Unternehmen gelten. Der ganze Standort, nicht nur einzelne Branchen, müssen wieder die Kraft für Investitionen erhalten. Es geht um maßvolle, international wettbewerbsfähige Steuersätze. Zusammen mit mehr Anreizen für Investitionen in Deutschland ist dies das beste Rezept, um Wohlstand für unsere Kinder zu sichern.
In der Energieversorgung kämpfen die Unternehmen mit hohen Kosten und fehlender Planungssicherheit. Wenn eine Regierung alle paar Monate neue Ideen und neue Regeln vorlegt, wird niemand langfristige Investitionen anstoßen. Die Energiewende muss deshalb langfristig verlässlich sein, in der Grundausrichtung über Legislaturperioden und Wahltage hinweg.
Die neue Bundesregierung muss die Industrie von zu hohen Energiekosten entlasten. Eine Halbierung der Übertragungsnetzentgelte und eine Verlängerung der zeitlich begrenzten Strompreiskompensation für energieintensive Unternehmen sind überfällig.
Die Energiewende kann und muss effizienter werden. Wenn wir sie klug steuern, lassen sich bis 2035 über 300 Milliarden Euro einsparen. Dafür müssen wir den Ausbau von Netzen, Erneuerbaren und Wasserstoff stärker an der tatsächlichen Nachfrage ausrichten und die Elektrifizierung in Industrie, Verkehr und Gebäuden gezielt vorantreiben. Gleichzeitig brauchen wir gesicherte Kapazitäten und eine flexible Nachfragesteuerung, um Engpässe und hohe Kosten zu vermeiden. Die nächste Bundesregierung muss die Energiewende wirtschaftlich und wettbewerbsfähig gestalten. Dann wird sie ein Erfolg.
Innovationen sind unsere beste Chance, aus der Krise herauszukommen. Sie sind heute unsere größte Stärke und das Fundament für unsere Zukunft als Industriestandort. Damit das gelingt, müssen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam klare Roadmaps für Schlüsseltechnologien wie KI, Quantentechnologien und mRNA aufsetzen und mit Hochdruck umsetzen. Die derzeitige unkoordinierte Verteilung der Zuständigkeiten in der Regierung für die Themen Innovation und Digitalisierung bremst die Innovationsfähigkeit unseres Innovationssystems aus.
Ohne eine starke industrielle Basis, ohne eine innovative Industrie, werden wir die heutigen Herausforderungen und die der Zukunft nicht meistern. Doch genau hier liegt unsere Chance. Deutschlands Industrie verfügt über enormes Potenzial, das sie hier auf der Hannover Messe eindrucksvoll zeigt. Wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, wird unsere Industrie nicht nur wettbewerbsfähig bleiben, sondern neue Maßstäbe setzen. Lassen Sie uns dieses Innovationspotenzial entfesseln.