Nach 17 Monaten intensiver Arbeit mit einem breiten Kreis von Akteuren hat die Deutsche Energie-Agentur (dena) den Abschlussbericht der dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität veröffentlicht. Zehn wissenschaftliche Institute haben dazu ihre Expertise eingebracht und mehr als 70 Unternehmen ihre Branchenerfahrungen und Markteinschätzungen gegeben, ebenso ein 45-köpfiger Beirat mit hochrangigen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Sie haben gemeinsam untersucht, welche Technologiepfade aus heutiger Perspektive realistisch sind und welche Rahmenbedingungen es braucht, um diese bis 2045 in einem integrierten klimaneutralen Energiesystem in Deutschland zu realisieren. Dabei wurden konkrete Lösungssätze und CO2-Reduktionspfade für einzelne Sektoren (Bau, Verkehr, Industrie, Energieerzeugung sowie zu LULUCF) analysiert und identifiziert.
„Die dena-Leitstudie liefert der zukünftigen Bundesregierung eine praxisorientierte Perspektive zur Erreichung von Klimaneutralität bis 2045. In Ergänzung zu einer umfassenden und ausdifferenzierten Analyse wurden insgesamt 84 Aufgaben in zehn zentralen Handlungsfeldern identifiziert, die eines gemeinsam haben: Jede einzelne Aufgabe ist machbar. Die erforderliche parallele Orchestrierung aller dieser Aufgaben aber ist eine gewaltige Herausforderung. Deutschland muss neuen Schwung holen in der Energie- und Klimapolitik. Es gilt eine neue Veränderungsdynamik anzustoßen. ‘Weiter so‘ ist keine Option! Energiewende und Klimapolitik müssen besser organisiert, das historische Klein-Klein der vergangenen Jahre überwunden werden. Es bedarf einer grundlegenden Veränderung der Herangehensweise an diese Jahrhundertaufgabe. Gelingt uns dieser ‘Aufbruch Klimaneutralität‘, werden wir in der Lage sein, die gesetzlich verankerten Ziele für 2030 zu erreichen. Auch Klimaneutralität im Jahr 2045 kann dann eine erreichbare Perspektive sein“, erklärte Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der dena. „Die konkreten sektorspezifischen Jahresziele für die unmittelbar vor uns liegenden Jahre werden allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht erreicht. Zuviel ist liegen geblieben in den vergangenen Jahren. Dessen sollte sich die neue Bundesregierung unbedingt bewusst sein. Die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen stehen einem zielorientierten effizienten Handeln entgegen und verhindern so die notwendige Dynamik“, so Kuhlmann weiter.
Vier Säulen für Klimaneutralität
Die dena-Leitstudie zeigt anhand eines zentralen Szenarios (Szenario Klimaneutralität 100, KN100) wie die Sektorziele im Jahr 2030 und Klimaneutralität im Jahr 2045 erreicht werden können – welche Energieträger und Technologien in welchen Mengen benötigt werden sowie die dafür notwendigen transformatorischen Veränderungen. Die Studie setzt sich an verschiedenen Stellen mit Zielkonflikten und umzukehrenden Trends auseinander. Sie beschreibt in Exkursen zu Einzelthemen die Rolle, welche die verschiedenen Akteure übernehmen müssen. In vier Pfadausprägungen untersucht die Studie zudem Varianten zur Zielerreichung, etwa einen höheren Anteil von direkt-elektrischer Nutzung gegenüber einem höheren Anteil von gasförmigen oder flüssigen Energieträgern oder die Auswirkungen von verstärkten gegenüber begrenzten Anstrengungen zur Erhöhung der Energieeffizienz.
Um Klimaneutralität zu erreichen, ist aus technologischer Betrachtung eine Vier-Säulen-Strategieerforderlich: Die Erhöhung der Energieeffizienz ist eine wesentliche Maßnahme in allen Verbrauchssektoren, insbesondere in der Industrie und im Gebäudesektor. Für den umfassenden direkten Einsatz von erneuerbaren Energien ist in vielen Anwendungsbereichen neben der Energieeffizienzverbesserung eine breite und deutlich beschleunigte Elektrifizierung eine Grundvoraussetzung. Neben Strom werden erneuerbare gasförmige und flüssige Energieträger und Rohstoffe benötigt. Als vierte Säule braucht es technische und natürliche CO2-Senken. „Wir werden nicht alle Emissionen vermeiden können, insbesondere in der Landwirtschaft und der Industrie. Daher muss die zukünftige Bundesregierung schnell eine Strategie für den Ausbau vorhandener und die Erschließung neuer natürlicher und technischer Senken entwickeln“, so Kuhlmann. „Diese vier Säulen haben unterschiedliche zeitliche Perspektiven. Ihnen allen ist gemein, dass sie erhebliche Anstrengungen in den Aufbau entsprechender Infrastrukturen bedürfen. Das gilt für Strom, Gas, Wasserstoff, Wärmenetze und CO2 in gleicher Weise wie für die Verkehrsinfrastruktur, die Digitalisierung und die administrative Infrastruktur, gegenwärtig eine der Hauptblockaden für das Aufnehmen neuer Dynamik“, erklärte Kuhlmann.