Im Interview mit der ElektroWirtschaft spricht Wolfgang Marzin, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Frankfurt, über die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Messegeschäft, die Aussichten für kommende Veranstaltungen und die Weiterentwicklung „Hybrider Konzepte“.
ElektroWirtschaft: Vor 780 Jahren war die Geburtsstunde der Messe Frankfurt. Sie blicken auf eine lange Historie zurück. Es gibt vermutlich schönere Zeitpunkte, als ein Jubiläum im „Corona-Jahr“ 2020 zu begehen. Sind besondere Aktivitäten geplant?
Wolfgang Marzin: In diesem Jahr hätte auch die 20. Ausgabe der Light + Building stattgefunden, somit gäbe es doppelten Grund zum Feiern. In Anbetracht der aktuellen Situation ist es allerdings nicht der richtige Zeitpunkt für feierliche Aktivitäten. Es ist eher eine Zeit der Besinnung und der Ideenfindung, wie wir wieder nach vorne kommen. Darauf fokussieren wir unsere Energie. Vor der Zahl 780 hat man natürlich eine gewisse Portion Ehrfurcht, denn die Messe Frankfurt hat Weltkriege, Pest, Cholera und die spanische Grippe überlebt. Das tröstet aktuell vielleicht ein wenig, wenn man auf diese lange Zeit zurückblickt. Wir werden auch die Corona-Krise überstehen: Zusammenhalt ist hier die oberste Devise.
ElektroWirtschaft: Wie stark hat die Corona-Krise das Geschäft der Messe getroffen?
Wolfgang Marzin: Natürlich hat uns die Pandemie sehr stark getroffen. Das betrifft nicht nur die Messe Frankfurt, sondern alle Unternehmen, die menschliche Begegnungen organisieren. Veranstaltungen aller Art waren für einige Zeit behördlich untersagt. Die Light + Building war das erste Event, dass wir verschieben mussten – zwei Tage vor dem Lockdown. Gemeinsam mit den Partnern aus Elektrogroßhandel, Elektrohandwerk und Elektroindustrie haben wir in Lichtgeschwindigkeit diese schwere Entscheidung getroffen. Als wir später bemerkt haben, dass es im September ebenfalls schwierig sein wird, eine Weltleitmesse zu organisieren, haben wir sie erst wieder für 2022 geplant. Das hat unsere Arbeit sehr stark ausgebremst und diesen Rückstand werden wir in diesem Jahr auch nicht wieder aufholen.
In China sehen wir momentan, dass das Messegeschäft wieder Fahrt aufnimmt – mit Besucher- und Ausstellerzuwachs. Das sind positive Signale für uns und aus den dortigen Erfahrungen können wir viel lernen – auch wenn die Hygienevorschriften in jedem Land unterschiedlich sind.
Wir müssen nach vorne blicken. Es hilft nichts, wenn die Wirtschaft stillsteht, denn dann kommen noch ganz andere Probleme auf uns zu. Messen haben schon immer einen entscheidenden Beitrag für die Ankurbelung der Wirtschaft geleistet. Die meisten führenden Fachmessen, wie zum Beispiel die Hannover Messe, die ISH oder die bauma sind nach dem zweiten Weltkrieg in Zeiten des Wirtschaftswunders entstanden.
ElektroWirtschaft: Messen leben davon, dass sich Aussteller und Besucher aus aller Welt treffen und miteinander Geschäfte machen. Bedroht die Krise grundsätzlich ihr Geschäftsmodell? Wie groß ist der Druck, das herkömmliche Messekonzept in ein sogenanntes „Hybrides Modell“ digital weiterzuentwickeln?
Wolfgang Marzin: Die menschliche Begegnung – privat oder für die Abwicklung von Geschäften – wird nicht ersetzt werden. Das ist unsere feste Überzeugung. Auch nach der Finanzkrise 2008 haben Messen dazu beigetragen, dass sich Menschen begegnet sind und gemeinsam nach Lösungen aus der Krise gesucht haben. Es wird so sein – wie lange weiß niemand – dass wir uns hinsichtlich der Besucherzahl wieder nach oben arbeiten müssen. Aber auch die Corona-Pandemie wird nicht ewig bleiben.
Wir sehen diese Zeit auch als Chance. Die Planung „Hybrider Konzepte“ – also Optionen für Aussteller und Besucher, die nicht zur Messe kommen können – begann schon vor einigen Jahren. Wir arbeiten nun mit Hochdruck an Lösungen, die eine physische Messe mit digitalen Teilnahmemöglichkeiten kombiniert.
ElektroWirtschaft: Wie ist der aktuelle Stand nach vielen Veranstaltungsabsagen? Sehen Sie langsam wieder ein Licht am Ende des Tunnels?
Wolfgang Marzin: Nach acht Monaten Corona in Asien und sechs Monaten in Europa herrscht nach wie vor eine große Verunsicherung. Wir müssen akzeptieren, dass aktuell noch niemand vorhersehen kann, wie sich die Lage in einem halben Jahr darstellt. Gibt es weitere Reisebeschränkungen oder sogar einen neuen Lockdown? Wir wissen es nicht. Allerdings werden wir dazu verpflichtet sein, die Situation in den Griff zu bekommen, da wir sonst rechts und links überholt werden, insbesondere von China. Messen sind ein Spiegelbild der Wirtschaft. Angst darf hier kein Ratgeber für die Zukunft sein. Sollten Weltleitmessen wie eine Light + Building oder eine ISH nicht mehr auf deutschem Boden stattfinden, würde das nachhaltig den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen.
Marktbegegnungen sind immer von Optimismus geprägt. Unser Beruf ist es, diesen Optimismus zu organisieren. Unser Geschäftsmodell ist klar definiert und es ist über Jahre bewährt. Die Messe Frankfurt hat ein zeitgemäßes und zukunftsfähiges Messegelände, wir veranstalten Messen weltweit und wir bieten die Services, die Besucher und Aussteller benötigen. Diese Services erweitern wir nun um digitale Formate. So tasten wir uns heran. Auf eine Krise zu reagieren, hat eine lange Tradition bei der Messe Frankfurt. Natürlich muss man damit rechnen, dass wir in den nächsten Monaten, nicht die komplette „Welt“ zu Gast haben werden. Wir hoffen, dass die Frankfurter Buchmesse einen guten Auftakt hat, was die Branche beflügeln würde. Ich wünsche allen Marktbegleitern mit ihren Veranstaltungskonzepten alles Gute und viel Erfolg. Stand heute hätten wir in Frankfurt theoretisch kein Problem, morgen eine Light + Building für 30.000 bis 40.000 Besucher am Tag auf 600.000 Quadratmetern unter den aktuellen Hygienevorschriften durchzuführen. Das Angebot muss aber auch von den Marktteilnehmern angenommen werden. Wir wären sehr schlecht beraten, wenn wir Messen in dem Wissen, sie würden die Gesundheit von Ausstellern und Besuchern gefährden, durchführen wollten.
ElektroWirtschaft: War es eine Option, die Light + Building als digitale Messe durchzuführen?
Wolfgang Marzin: Diese Möglichkeit war für uns in Absprache mit den Partnerverbänden keine Option. Eine reine Verlagerung ins Netz, ist schwer vorstellbar, da auf der Light + Building erklärungsbedürftige Produkte im Vordergrund stehen. Diese haptische Begegnung ist nicht zu ersetzen – hängt aber auch von der Branche ab. Die Gamescom in Köln, Leitmesse für Computer- und Videospiele, findet beispielsweise nur digital statt. Das kann funktionieren.
ElektroWirtschaft: War es eine Überlegung, die Light + Building im Jahr 2021 stattfinden zu lassen? Wird es Änderungen für die Light + Building 2022 geben?
Wolfgang Marzin: Zunächst waren wir stolz darauf, eine Verschiebung in den September 2020 realisieren zu können, was im Nachhinein vielleicht zu optimistisch war. Eine Verlagerung in das Jahr 2021 gestaltete sich deshalb als schwierig, da im März die ISH im Kalender steht. Auch wollten wir den zweijährigen Rhythmus nicht verlassen, da sonst ein Jahr später bereits die nächste Light + Building angestanden hätte. Wir alle müssen daran glauben, dass in eindreiviertel Jahren, das Virus unter Kontrolle ist und nicht mehr das prägende Thema der Welt sein wird. Wir alle freuen uns auf 2022 und werden es noch mehr zu schätzen wissen, die Messe auf deutschem Boden haben zu dürfen. Sie wird eine hybride Messe werden. Die Erfahrungen aus den kommenden Veranstaltungen werden uns wichtige Anhaltspunkte für 2022 geben.
ElektroWirtschaft: Wie ist Ihre Prognose, dass die ISH 2021 stattfinden kann?
Wolfgang Marzin: Wir sind von Haus aus Optimisten und gehen davon aus, dass sie stattfinden wird. Entscheidend dafür sind die Behörden, die die Gesundheitssituation zum Zeitpunkt X bewerten werden und die Aussteller. Wir werden alles dafür tun, um es Ausstellern und Besuchern so sicher und angenehm wie möglich zu machen.