Digitalisierung, Energie- und Verkehrswende und 2020 auch noch die Corona-Krise – unsere Welt verändert sich. Das bedeutet für die Elektrohandwerke Herausforderungen, aber auch Chancen. ZVEH-Präsident Lothar Hellmann und ZVEH-Hauptgeschäftsführer Ingolf Jakobi zur Bedeutung von Klimaschutz, Elektromobilität und der Elektroanlage als Achillesferse der Energiewende.
ElektroWirtschaft: Fangen wir mit dem an, was uns alle dieses Jahr am meisten beschäftigt hat: die Corona-Krise. Die Elektrohandwerke scheinen bislang relativ gut durch die Krise gekommen zu sein. Was sind die Gründe?
Lothar Hellmann: Geholfen haben uns sicherlich die zum Teil beachtlichen Auftragspolster der Betriebe, aber auch die Tatsache, dass selbst während des Shutdowns zu großen Teilen weitergearbeitet werden konnte. Dass dies möglich war, ist dem Engagement des Zentralverbands der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) zu verdanken, der sich gleich zu Beginn der Krise darum gekümmert hat, dass die Elektrohandwerke vom Bundesinnenministerium für systemrelevant erklärt wurden.
ElektroWirtschaft: Wie ist die Stimmung aktuell?
Ingolf Jakobi: Unsere zweite, Mitte Mai durchgeführte Sonderumfrage zu den Auswirkungen von Corona hat gezeigt, dass der Anteil der Betriebe, die Kurzarbeit beantragt haben, auf niedrigem Niveau stagniert. Auch hat sich der zu Beginn der Krise zunächst gefallene Geschäftsklimaindex recht gut erholt, wenn er natürlich auch noch nicht auf Vor-Corona-Niveau ist. Aber, sollte es nicht noch zu einer neuen Welle oder erneuten Restriktionen kommen, bin ich zuversichtlich, dass die E-Handwerke ohne größeren Schaden durch die Krise kommen.
ElektroWirtschaft: Im vergangenen Jahr beherrschte, nicht zuletzt dank der Fridays-for-Future-Bewegung, noch ein ganz anderes Thema die Medien: der Klimaschutz. Gut für die Elektrohandwerke?
Lothar Hellmann: Die Energiewende basiert auf der zunehmenden Elektrifizierung von Lebensbereichen. Soll sie gelingen, braucht es das Know-how und die Erfahrung der Elektrohandwerke. Wir werden zu Klimaschützern.
Das wachsende Bewusstsein für den Klimaschutz in der Bevölkerung spielt uns in die Karten, denn dadurch nimmt das Interesse an Energiemanagementsystemen, an dezentraler Energieversorgung und smarten Technologien weiter zu. Immer mehr Menschen ist eine nachhaltige, auf einem hohen Anteil Erneuerbarer Energien basierende Energieversorgung wichtig und sie möchten ein Zeichen in Sachen Mobilität setzen. Davon profitieren wir.
Ingolf Jakobi: Genau. Wobei zu Beginn der Corona-Krise zunächst zu befürchten stand, dass der Klimaschutz durch die Pandemie und die kostenintensiven staatlichen Unterstützungsmaßnahmen ins Hintertreffen geraten würde. Glücklicherweise hat die Bundesregierung jedoch Zukunftsthemen wie Klimaschutz, Energieeffizienz und Elektromobilität fest in den Konjunkturpaketen verankert. Das lässt uns mit Optimismus auf die nächsten Jahre schauen. Denn wenn es darauf ankommt, die Energiewende voranzutreiben, können die Elektrohandwerke einen wichtigen Beitrag leisten.
ElektroWirtschaft: Die zunehmende Elektrifizierung ist aber auch problematisch?
Ingolf Jakobi: Nicht die Elektrifizierung stellt das Problem dar, sondern die vorhandenen Anlagen. Denn die Gebäude hierzulande sind zum Teil mit veralteten Elektroanlagen ausgestattet. Der Löwenanteil der Gebäude stammt aus den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren und damit aus einer Zeit, in der in einem Haushalt noch deutlich weniger Elektrogeräte im Einsatz waren. Heute hat sich nicht nur deren Zahl vervielfacht. Vieles wird auch automatisch, über smarte Technologien, gesteuert. Zudem muss die Anlage für die zunehmende Sektorkopplung ausgerüstet sein. Schon die Installation von Ladeinfrastruktur für Elektromobilität kann bei älteren Anlagen zu einer Herausforderung werden.
ElektroWirtschaft: Wie lässt sich das Problem aus Sicht des ZVEH lösen?
Lothar Hellmann: Elektromodernisierungen müssen viel stärker in den Fokus rücken. Schließlich ist eine nachhaltige Elektroinfrastruktur die Basis für ein funktionierendes Lastmanagement, für Elektromobilität und den Einsatz smarter Technologien.
Ingolf Jakobi: Was wir vorschlagen, ist, dass Elektroanlagen im Zuge größerer Modernisierungen automatisch überprüft und veraltete Anlagen dann auch ausgetauscht werden. Nur so können wir den Bestand energiewendefähig machen. Helfen könnte dabei eine Förderstrategie, die es attraktiver macht, Elektroanlagen zu erneuern. Ein entsprechendes Förderkonzept haben ZVEI und ZVEH gerade gemeinsam in Berlin, bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, präsentiert.
Lothar Hellmann: Genauso wichtig ist es unseres Erachtens, dass bei Neubauten schon jetzt an die Ladeinfrastruktur von morgen gedacht wird und zumindest Leerrohre eingezogen werden. Sind diese vorhanden, kann bei Bedarf ohne großen Aufwand und vor allem ohne hohe Kosten Ladeinfrastruktur für Elektromobilität nachgerüstet werden. Ganz wichtig ist, dies schon bei Einfamilienhäusern zu berücksichtigen und auch in Mehrfamilienhäusern in anderen Dimensionen zu denken, als es bislang noch der Fall ist.
ElektroWirtschaft: Die Akzeptanz von Elektromobilität ist in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen – nicht zuletzt, weil die Ladeinfrastruktur ausgebaut wurde. Warum sind hier auch künftig die Elektrohandwerke gefragt?
Ingolf Jakobi: Bislang hat man das Hauptaugenmerk auf den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur gelegt. Dabei werden aller Voraussicht nach 80 Prozent der Ladevorgänge künftig zuhause oder auf der Arbeit erfolgen. Es ist also vor allem die private Ladeinfrastruktur, die es aufzubauen gilt. Dazu braucht es das Know-how der Elektrohandwerke.
Lothar Hellmann: Um sicherzustellen, dass Kunden hinsichtlich der Installation von Ladeinfrastruktur qualifiziert beraten werden, hat der ZVEH bereits Kooperationen mit dem Deutschen Kraftfahrzeuggewerbe und dem ADAC abgeschlossen. Auch durch die neue Kooperation mit der VW-Tochter Elli eröffnen wir den E-Handwerken Zugang zu diesem neuen Marktsegment.
ElektroWirtschaft: Der Aufbau von Ladeinfrastruktur ist allerdings nur ein Thema…
Ingolf Jakobi: Richtig, das andere ist Wartung. Denn bestehende Ladepunkte sowie die Ladekabel sollten auch regelmäßig überprüft werden. Darüber hinaus besteht Beratungsbedarf im Bereich Wallboxen und Ladetarife oder auch bei der Einbindung von Ladeinfrastruktur ins hauseigene Energiemanagement.
ElektroWirtschaft: Künstliche Intelligenz war 2019 ein großes Thema – welches Potential hat KI?
Lothar Hellmann: Einen Eindruck davon, welches Potential Künstliche Intelligenz (KI) hat, vermittelt unser E-Haus. Hier haben wir eine KI-gesteuerte Atemluftüberwachung für Diabetes-Patienten mit Notruffunktion integriert. Auch das Energiemanagement des Hauses ist mit KI gekoppelt und so in der Lage, die Energieversorgung unter Einbeziehung von Wetterdaten und Daten zum Nutzerverhalten zu steuern, um sie optimal an die Bedürfnisse der Bewohner anzupassen und möglichst hohe Energieeinsparungen zu erzielen. Zwei Beispiele, die zeigen, was bereits möglich ist. Dabei stehen wir, was die Nutzung von KI betrifft, erst ganz am Anfang.
ElektroWirtschaft: Wenn Sie an die nächsten Jahre denken – wie sind die Elektrohandwerke aufgestellt?
Ingolf Jakobi: Meiner Ansicht nach sehr gut – daran kann auch die Corona-Krise nichts ändern. Denn unsere Geschäftsfelder sind krisenfest. Die Innungsfachbetriebe haben erkannt, wo neue Wachstumsmärkte entstehen, und sind dort aktiv. So ist zum Beispiel Smart Home, das hat unsere Umfrage zu diesem Thema gezeigt, für zunehmend mehr Betriebe ein Umsatzbringer. Dass die Betriebe die Zeichen der Zeit erkannt haben, merken wir auch daran, dass das Interesse an Schulungen in Bereichen wie Elektromobilität, Energieeffizienz oder Breitbandausbau zunimmt. Qualifizierung ist der Schlüssel zum Erfolg, und unsere Innungsmitglieder wissen das.
Lothar Hellmann: Das Thema Corona wird die Elektrohandwerke noch länger begleiten. Ich hoffe aber, dass sich die Erholung, die sich Mitte Mai in unserer zweiten Sonderumfrage abzeichnete, fortsetzt. Themen aus der Vor-Corona-Zeit bleiben uns erhalten: Der Fachkräftebedarf wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Davon ist auszugehen. Schon jetzt ist das ein großes Thema, zum Beispiel beim Breitbandausbau. Die steigende Nachfrage nach Fachkräften betrifft auch die E-Handwerke. Fachkräfte- und Nachwuchswerbung bleibt ein zentrales Thema. Aber hier sind wir mit den Aktivitäten der ArGe Medien im ZVEH gut aufgestellt. Auch die Auszubildendenzahlen geben Anlass zur Hoffnung: Im Ausbildungsjahr 2019 konnten wir – entgegen dem Trend in anderen Branchen – zum fünften Mal in Folge einen Anstieg verzeichnen. Und, was besonders schön ist: Der Frauenanteil unter den insgesamt 45 000 Auszubildenden ist deutlich gestiegen.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus der Juli-Ausgabe der ElektroWirtschaft.