Das neue Berufsbild des Großhandels ist da: Ab dem 1. August 2020 bildet die Branche den/die Kaufmann/Kauffrau für Groß- und Außenhandelsmanagement aus. Derzeit sind die Personalabteilungen der Elektrogroßhandelsunternehmen voll beschäftigt, ihre Ausbildungsstrukturen zu überarbeiten und an die neuen Anforderungen anzupassen. Über die im Rahmen der momentan laufenden Roadshow des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e.V. (BGA), Berlin, am häufigsten gestellten Fragen spricht im Interview der Vorsitzende des BGA-Berufsbildungsausschusses Dr. John Bötticher mit Uta Weil aus der VEG-Geschäftsstelle. Dr. John Bötticher war an der Erstellung des Berufsbildes im Rahmen des Sachverständigenverfahrens beim BiBB maßgeblich beteiligt.
Uta Weil: Herr Dr. Bötticher, warum wurde der Kaufmannsberuf im Großhandel überhaupt neu geordnet?
Dr. John Bötticher: Die Neuordnung war erforderlich, weil die Ausbildungsordnung nicht mehr den aktuellen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Beruf entsprach. Veränderte Anforderungen in der Arbeitswelt ergeben sich vor allem durch die fortschreitende Digitalisierung und die damit verbundene wachsende Bedeutung elektronischer Geschäftsprozesse (E-Business), des Onlinehandels und der Plattformökonomie. Großhändler entwickeln sich immer mehr vom Warenhändler zum ganzheitlichen Lösungsanbieter für ihre Kunden mit einer hohen Dienstleistungskompetenz. Die notwendigen Änderungen werden im modernisierten Berufsbild umgesetzt. Ziel der Modernisierung ist es, ein attraktives, zeitgemäßes und anspruchsvolles Berufsbild mit neuer Berufsbezeichnung zu schaffen.
Uta Weil: Warum wurde der Name des Berufsbildes geändert?
Dr. John Bötticher: Der neue Name Kaufmann/Kauffrau für Groß- und Außenhandelsmanagement trägt der stärkeren Prozessorientierung und der wachsenden Bedeutung des Projektmanagements im Groß- und Außenhandel Rechnung. Es geht nicht darum, viele kleine Unternehmensmanager zu schaffen. Managen ist vielmehr im Sinne der geschlossenen Handlung (planen, vorbereiten, durchführen, kontrollieren, bewerten und ändern) zu verstehen. Zudem soll eine moderne Berufsbezeichnung die Attraktivität und Sichtbarkeit des Berufes erhöhen.
Uta Weil: Herr Dr. Bötticher, die neue Verordnung „Kaufmann/Kauffrau für Groß- und Außenhandelsmanagement“ wurde nach endlosem Warten am 1. April endlich im Bundesgesetzblatt verkündet und tritt am 1. August 2020 in Kraft. Sie gilt für Ausbildungsverhältnisse mit Ausbildungsbeginn 1. August 2020 oder später. Ausbildungsverträge für das neue Ausbildungsjahr, die noch mit der alten Berufsbezeichnung abgeschlossen wurden, werden von den Kammern umgeschrieben. Was passiert mit bestehenden Ausbildungsverhältnissen?
Dr. John Bötticher: Für Ausbildungsverhältnisse, die vor dem 1. August 2020 begonnen wurden, gilt die alte Ausbildungsordnung zum Kaufmann bzw. zur Kauffrau im Groß- und Außenhandel weiter. Ein Wechsel zur neuen Ausbildungsordnung unter Anrechnung bereits absolvierter Ausbildungszeiten ist nicht möglich. Die Umschreibung bereits begonnener Ausbildungsverhältnisse ist nicht vorgesehen.
Uta Weil: Muss der im Unternehmen zuständige Ausbilder sich dann neu für den neuen Beruf eintragen lassen oder wird dies auch automatisch umgeschrieben?
Dr. John Bötticher: Eine Neueintragung bzw. Umschreibung bestehender Ausbilder ist nicht erforderlich.
Uta Weil: Die wichtigste Frage ist ja: Welche wesentlichen Änderungen zum bisherigen Berufsbild kommen auf die Unternehmen und die künftigen Auszubildenden zu?
Dr. John Bötticher: Im modernisierten Berufsbild „Kaufmann/Kauffrau für Groß- und Außenhandelsmanagement“ wurden die Berufsbildpositionen (BBP) orientiert an Großhandelsprozessen neu strukturiert und Lernziele überarbeitet. Dies umfasst Neuerungen, Erweiterungen, Streichungen und Präzisierungen. Im Wesentlichen wurden folgende Inhalte modernisiert – ich kann sie am einfachsten in einer Aufzählung nennen:
• Neben dem Warensortiment werden waren- und kundenbezogene Dienstleistungen ausdrücklich mit ins Leistungsspektrum der Kaufleute für Groß- und Außenhandelsmanagement aufgenommen.
• Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in nationalen und internationalen Lieferketten wird im Rahmen der Berufsbildposition „Handelsspezifische Beschaffungslogistik planen und steuern“ als Lernziel aufgenommen.
• Der Einkauf wurde um Ausschreibungen und Verhandlungsführung ergänzt. Der wachsenden Internationalisierung des gesamten Berufs auch in der Fachrichtung Großhandel wird durch die Berücksichtigung der Risiken beim Einkauf im Ausland Rechnung getragen.
• Marketing und Verkauf werden mit der ausdrücklichen Ergänzung des Online-Vertriebskanals gestärkt. Damit haben Kaufleute für Groß- und Außenhandelsmanagement auch den wachsenden E-Commerce im Blick, bleiben aber dem Multichannel-Ansatz treu.
• Mit der neuen Berufsbildposition „Elektronische Geschäftsprozesse (E-Business)“ wird der Umgang mit digitalen E-Business-Systemen im betrieblichen Alltag zur Selbstverständlichkeit. Daneben wird in der gesamten Ausbildungsordnung die Nutzung von Daten und elektronischen Medien unter Beachtung von Datenschutz und IT-Sicherheit stärker betont.
• Die Arbeit in betrieblichen Projekten wird in zwei Lernzielen im Rahmen der Arbeitsorganisation zu einem neuen Schwerpunkt des Berufs.
• Sogenannte Soft Skills werden durch die Aufnahme des lebensbegleitenden Lernens und der Unfallprävention im betrieblichen Arbeitsalltag gestärkt.
• Die Einhaltung rechtlicher und betrieblicher Regelungen wird durch das neue Lernziel Compliance gestärkt.
• Auch die interne und externe Kommunikation erhält eine größere Bedeutung und wird eine eigene integrative Berufsbildposition.
• Die Fachrichtung Großhandel wird um eine Berufsbildposition im Bereich Retourenmanagement, die warenbezogenen Rückabwicklungsprozesse, ergänzt.
• In der Fachrichtung Außenhandel wird die Anwendung von Fremdsprachen und interkulturellen Kompetenzen in der Berufsbildposition Internationale Berufskompetenz zusammengefasst.
Uta Weil: Wie kann ein Elektrogroßhandelsunternehmen die genannte Berufsbildposition „Elektronische Geschäftsprozesse (E-Business)“ konkret im Betrieb umsetzen?
Dr. John Bötticher: Auszubildende sollen hier frühzeitig mit der betrieblichen Nutzung von E-Business-Systemen (ERP, CRM, Kommunikation) sowie dem betrieblichen Stammdatenmanagement in den typischen Geschäftsprozessen des Elektrogroßhandels (Einkauf/Beschaffung, Lagerung/Logistik, Vertrieb/Distribution) vertraut gemacht werden.
Uta Weil: Was bedeutet „Projektarbeit“ und welche Art von Projekten ist gemeint?
Dr. John Bötticher: Im Rahmen der Arbeitsorganisation sollen die Auszubildenden sowohl die Vorbereitung, Planung, Überwachung, Steuerung, den Abschluss und die Dokumentation betrieblicher Projekte unterstützen, als auch selbst bei der Umsetzung und Durchführung von betrieblichen Projekten mitarbeiten. Dies kann sowohl kleine als auch große Projekte umfassen. Maßgeblich ist das klassische Projektverständnis.
Uta Weil: Was passiert, wenn Betriebe bestimmte neue Inhalte (z.B. E-Commerce) nicht vermitteln können?
Dr. John Bötticher: Jeder Betrieb soll weiterhin ausbilden können. Bei der Formulierung der Berufsbildpositionen und der Lernziele wurde darauf geachtet, dass die zu erwerbenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten möglichst zukunftsorientiert ausgerichtet aber weiterhin so offen gestaltet sind, dass sie für jeden Ausbildungsbetrieb vermittelbar bleiben. So ist insbesondere ein eigener Online-Shop nicht erforderlich.
Uta Weil: Wie ändert sich die Prüfungsstruktur?
Dr. John Bötticher: Das bisherige Modell aus Zwischen- und Abschlussprüfung wird auf die zweigeteilte, gestreckte Abschlussprüfung umgestellt. Aus der Zwischenprüfung, die für die Abschlussnote bisher nicht relevant war, wird mit Teil 1 der Abschlussprüfung – eine „harte“ Prüfung, deren Note zu einem Viertel in die Abschlussnote eingeht. Teil 1 der Abschlussprüfung findet nach 18 Monaten in Form einer schriftlichen Prüfung statt – die Verordnung sagt „im vierten Ausbildungshalbjahr“ – und umfasst die Inhalte der ersten 15 Monate der Ausbildung. Teil 2 der Abschlussprüfung folgt wie bisher am Ende der Ausbildung.
Uta Weil: Ist ein Nichtbestehen von Teil 1 der Abschlussprüfung möglich und welche Auswirkung hat dies?
Dr. John Bötticher: Ein Nichtbestehen von Teil 1 der Abschlussprüfung ist nicht vorgesehen. Entscheidend ist, dass im Gesamtergebnis von Teil 1 und Teil 2 mindestens ein „ausreichend“ erzielt wird. Ein „mangelhaft“ oder „ungenügend“ in Teil 1 kann demnach nur durch ein besseres Ergebnis in Teil 2 der Abschlussprüfung ausgeglichen werden. Eine Wiederholungs- oder Ergänzungsprüfung zu Teil 1 gibt es nicht.
Uta Weil: Wie muss ein Elektrogroßhandelsunternehmen den betrieblichen Ausbildungsplan gestalten?
Dr. John Bötticher: Die zeitliche Gliederung des betrieblichen Ausbildungsplans bekommt durch die Einführung der gestreckten Abschlussprüfung eine größere Relevanz, denn die in der Verordnung vorgegebenen Inhalte der ersten 15. Monate sind für Teil 1 der Abschlussprüfung prüfungsrelevant. Deshalb sollte die im Ausbildungsrahmenplan vorgegebene zeitliche Gliederung beachtet werden.
Uta Weil: Herr Dr. Bötticher, in der Praxis werden noch viele weitere Fragen auftauchen – Sie sind also für den Rest des Jahres ein gefragter Mann! Vielen Dank für Ihre Antworten!