Der Elektro-Fachvertrieb sieht sich nicht erst seit Corona vor großen Herausforderungen. Die Auswirkungen der Pandemie verstärken jedoch die Notwendigkeit, sich gemeinsam mit den Partnern neu zu erfinden. Darin können auch viele Chancen liegen. Das ist die positive Botschaft in dieser Zeit von Torben Bayer, Leiter Markenentwicklung und Marketing bei Gira. Das Unternehmen hat ein Sofortprogramm gestartet, um gerade jetzt seinen Schulterschluss mit dem Elektrofachhandwerk zu demonstrieren. Und Gira geht noch einen Schritt weiter: Ein neuer Markenauftritt soll zeigen, dass moderne Gebäudesystemtechnik mehr kann als „An“ und „Aus“.
ElektroWirtschaft: Gira hat auf die Coronakrise sehr schnell reagiert und ein Sofortprogramm für das Elektrofachhandwerk gestartet. Wie entstand die Idee zu dieser Maßnahme?
Torben Bayer: Wir haben den Markt seit Beginn der Corona-Pandemie sehr genau beobachtet und es wurde schnell klar, dass Handlungsbedarf besteht. Dass die Gesundheit und Sicherheit von Mitarbeitern, Kunden und Partnern dabei oberste Priorität hat ist selbstverständlich. Unmittelbar danach geht es aber auch darum, dass wir alle in unserem Leistungsverbund arbeitsfähig bleiben und den wirtschaftlichen Schaden für die Unternehmen so gering wie möglich halten. Das erreichen wir nur, indem wir uns gegenseitig echte Partner sind, uns untereinander unterstützen. Deshalb hat Gira ein Sofortprogramm aus verschiedenen Service-Leistungen für das Handwerk geschnürt. Unter dem Motto „Hallo Handwerk“ stehen unsere Kollegen den Fachbetrieben zur Verfügung und zeigen persönlich, wie sie ihnen den Rücken stärken.
ElektroWirtschaft: Welche Art von Unterstützung benötigt das Elektrofachhandwerk jetzt besonders?
Torben Bayer: Das wollten wir natürlich auch wissen. Deshalb haben wir zunächst eine deutschlandweite Befragung gestartet. Über 100 Betriebe wurden zur aktuellen Marktlage und den Prognosen für die kommenden Wochen befragt. Wir haben zugehört und verstanden, was jetzt dringend benötigt wird: Lieferfähigkeit, Schnelligkeit, Flexibilität und uneingeschränkte Erreichbarkeit. Aber auch kompetente Beratung sowohl was unsere Produkte betrifft als auch in juristischen Angelegenheiten und bei der Beantragung staatlicher Hilfsmittel. All diese Punkte haben wir in unser Sofortprogramm aufgenommen – als praxisnahe Serviceleistungen, die schnell und unkompliziert genutzt werden können.
ElektroWirtschaft: Sind Ihre Produktionsstätten weiterhin in Betrieb, können Sie die Lieferfähigkeit aufrechterhalten?
Torben Bayer: Gira produziert den größten Teil der Produkte in Deutschland, an den Standorten in Radevormwald und Lüdenscheid. Auch unsere Vorlieferanten haben ihre Produktionsstandorte überwiegend in Deutschland. Unsere Materialbestände sind deshalb durchweg auf gutem Niveau. Wir haben Maßnahmen ergriffen, um die für die Abwicklung des Tagesgeschäfts notwendigen Werksbereiche über räumliche und zeitliche Trennung arbeitsfähig zu halten. Das klappt bisher sehr gut. Unsere Lieferkette ist intakt. Bestellungen, die bis zum Mittag bei uns eingehen, verlassen in der Regel noch am gleichen Tag das Werk.
ElektroWirtschaft: Was passiert, wenn es beim Großhandel zu Lieferengpässen kommt?
Torben Bayer: Wir arbeiten eng mit dem Großhandel zusammen, um sicherzustellen, dass unsere Partner im Elektrofachhandwerk jetzt alle benötigten Produkte vor Ort haben. Der dreistufige Fachvertrieb ist für uns selbstverständlich auch in diesen Zeiten gesetzt. Sollten allerdings doch mal alle Stricke reißen, setzen wir alles daran, dass trotzdem geliefert werden kann, zur Not auch über Strecke. Dieses Angebot bieten wir – in enger Abstimmung mit dem Großhandel – als Serviceleistung ebenfalls an.
ElektroWirtschaft: Wie unterstützen Sie das Fachhandwerk vor Ort, der Gira Außendienst kann im Moment ja nicht unterwegs sein?
Torben Bayer: Sicher, einige Mitarbeiter, darunter der Gira Außendienst, arbeiten aufgrund der Kontaktbeschränkungen momentan im Homeoffice. Diese Schutzmaßnahme verstehen wir aber auch als Chance, unsere Partner im Fachhandwerk in dieser außergewöhnlichen Zeit ganz gezielt unterstützen zu können. Telefonisch sind die Vertriebsmitarbeiter jetzt sogar noch besser erreichbar als während der Termindichte im normalen Alltag ohne Corona. Zusätzlich bieten wir uneingeschränkt technischen und planerischen Support per Hotline und bei der Inbetriebnahmeunterstützung an – auch per Chat. Und wir haben die Kapazitäten in der Gira Akademie ausgeweitet: Unsere ja ohnehin sehr gefragten Webinare und die Online-Schulungen bieten Qualifizierungsmöglichkeiten auch ohne persönlichen Kontakt – wenngleich nicht weniger lebendig und interaktiv.
ElektroWirtschaft: Vor allem im Privatkundenbereich werden jetzt auch Aufträge storniert. Wie kann das Fachhandwerk sich davor schützen bzw. ggf. Fördermittel beantragen?
Torben Bayer: Auch daran haben wir gedacht. Um den Betrieben jetzt zu ihrem guten Recht zu verhelfen, bieten wir Online-Beratungen an. Darin erklärt ein externer Jurist was zu beachten ist, wenn Auftraggeber jetzt stornieren, nicht zahlen oder Verzugsstrafen geltend machen wollen. Er beantwortet zudem ganz individuelle Fragen der Betriebe. Welche staatlichen Hilfen und Förderungen, wie z.B. Zuschüsse, Sofortkredite oder Kurzarbeitergeld, es jetzt gibt und worauf bei der Beantragung geachtet werden muss, erklärt ein Steuerexperte in zusätzlichen Online-Seminaren. So wollen wir den Betrieben helfen, sich in dieser unübersichtlichen Situation zu orientieren. Wir sind da.
ElektroWirtschaft: Das Gira Sofortprogramm bietet also eine ganze Menge. Wird das nach Corona alles wieder runtergefahren?
Torben Bayer: Service ist bereits seit Jahren einer der Schwerpunkte bei Gira – fast so wichtig, wie das eigentliche Produkt. Denn wir wissen, dass wir nur dann erfolgreich mit unseren Partnern arbeiten können, wenn unsere gegenseitigen Prozesse optimal verzahnt werden. Das gilt für die klassischen Lieferprozesse, aber eben auch für Beratung, Qualifizierungsangebote, Marketingunterstützung, Ausschreibungs- und Planungshilfen etc. Wir haben über die Zeit eine mehr als 300 Service-Leistungen bei Gira aufgebaut, von denen das Elektrofachhandwerk profitieren kann. Wenige kennen alle diese Leistungen. Deshalb werden wir nach dem Sofortprogramm auch weitere Service-Angebote vorstellen. Denn eines zeigt die Krise: Wir müssen noch stärker zusammenwachsen, nicht nur in kritischen Situationen, sondern gerade auch in guten Zeiten. Gemeinsam an einem Strang ziehen, sich gegenseitig Rückendeckung geben und gemeinsam Chancen nutzen – das haben wir ja nicht wegen Corona erfunden, das sollte vielmehr das Grundverständnis im Fachvertrieb sein.
ElektroWirtschaft: Sie meinen, die Krise ist auch eine Chance für den Fachvertrieb, sich neu zu beweisen?
Torben Bayer: Zumindest eine Chance, die eigene Kraft wieder zu entdecken. Voraussetzung ist, dass wir die Veränderungen als positive Herausforderung begreifen, denen wir auch vor der Krise gegenüberstanden und die sich jetzt durch die Krise noch einmal verstärken. Zum Beispiel die Digitalisierung – nicht nur in den Prozessen, sondern auch im Marktzugang und in der Kommunikation. Spätestens jetzt sollten wir alle verstanden haben, dass uns erst eine ganzheitliche Online-Strategie überhaupt zukunftsfähig macht im Umgang mit dem Kunden. Die Transparenz der Märkte und die Verfügbarkeit aller Informationen überall – das ist längst Normalität. Der Endkunde entscheidet deutlich mehr als früher über die Marken- und Produktauswahl. Wir müssen ihm den Nutzen unserer Lösungen ganz anders und über ganz andere Kanäle auf jedem Schritt des Entscheidungsprozesses vermitteln. Technische Produktinformation steht dabei nicht an erster Stelle, sondern emotionaler Mehrwert. Die Marke wird noch wichtiger, um Orientierung zu geben. Gira hat das – wie wir meinen – früh erkannt und stellt sich jetzt u. a. auch mit einem neuen Marktauftritt dafür auf.
ElektroWirtschaft: Was bedeutet das? Gibt es eine neue Positionierung von Gira?
Torben Bayer: Wir sprechen von dem Gira Moment. Für viele waren und sind wir‚ die mit den Schaltern.‘ Das sind ja auch unsere Wurzeln. Aber Gira ist längst mehr – zum Beispiel einer der Pioniere von Smart Home. Das wollen wir jetzt deutlicher zeigen. Wir bleiben die für ‚An‘ und ‚Aus‘ – aber wir sind auch die für die ganze Welt dazwischen. Die mit ihren Systemen Sorglosigkeit, Sicherheit, Wohlgefühl, Kreativität und Freiheit bringen – eben Lebensgefühle, die über Produkte hinausgehen und uns mit unseren Lösungen auch ein stückweit ‚einzigartig‘ machen. Zu dieser Einzigartigkeit gehört unsere Partnerschaft mit dem Elektro-Fachvertrieb unmittelbar dazu. Denn sie empfehlen, planen, programmieren und installieren mit unseren Produkten diese Lebensgefühle bei den Kunden. Deshalb soll unser neuer Auftritt nicht nur uns als Marke, sondern auch unseren Partnern einen gewissen Impuls geben. Ein solches Selbstverständnis wird unserer Branche guttun. Auch der Elektromeister steht nicht nur für ‚An‘ und ‚Aus‘ – auch er ist Garant für Sorglosigkeit, Sicherheit und Wohlgefühl etc. Das sind Botschaften, die die Menschen in digitalen Zeiten verstehen. Auch nach der Krise.
ElektroWirtschaft: Das hört sich nach einem großen Wurf an. Will Gira das Selbstverständnis der ganzen Branche umkrempeln?
Torben Bayer: Wir wollen uns diese Rolle nicht anmaßen. Auf der anderen Seite versuchen die großen Konzerne gerade den Smart Home Markt unter sich aufzuteilen – einen Markt, für den wir gemeinsam im Fachvertrieb die Grundlage gelegt haben. Da dürfen wir schon mit Selbstbewusstsein zeigen, dass wir mehr können, als ‚An‘ und ‚Aus‘. Gira hat in den vergangenen über 100 Jahren immer wieder einen Weg gefunden, Märkte visionär zu gestalten, ohne dabei den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wir wissen, dass wir das nicht allein geschafft haben. Ohne die Partnerschaft mit dem Handwerk und dem Fachgroßhandel wäre das nicht möglich gewesen. Mit einer zukunftsgerichteten Idee von uns selbst, mit der Entschlossenheit diese Idee auch umzusetzen und vor allem mit dem klaren Bekenntnis zu unseren Partnern im Markt wollen wir jetzt wieder ein Stück nach voran gehen. Vielleicht hilft das auch in dieser beispiellosen Situation, den Blick gemeinsam nach vorn zu richten.