Hinter den Toren des südlich von Berlin gelegenen Logistikzentrums von Obeta arbeitet ein selbstlernender Roboter, der weltweit einzigartig ist. Im Interview mit der ElektroWirtschaft gibt Geschäftsführer Dr. Dirk Jandura einen Einblick in das Thema Robotik und die Motive, die zur Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine führten.
ElektroWirtschaft: In Ihren Reihen verrichtet ein weltweit einzigartiger, selbstlernender Roboter Kommissionierarbeiten. Was waren die Beweggründe für dessen Einsatz?
Dr. Dirk Jandura: Seit Jahren verzeichnen wir ein kontinuierliches Umsatzwachstum. Bereits im Jahr 2015 haben wir dementsprechend unser Logistikzentrum erweitert und die Kapazitäten im automatischen Kleinteilelager (Shuttle-Lager) verdoppelt. Dabei lag natürlich das Hauptaugenmerk auf der effizienten Auftragsbearbeitung bei gleichzeitiger Qualitätssicherung: Im Rahmen einer zukunftsorientierten Arbeitsplatzgestaltung wurden zeit- und kraftaufwendige Arbeiten reduziert und für eher eintönige Tätigkeiten Maschinen eingesetzt. Als uns auf einer Logistikmesse dann die Möglichkeiten eines Kommissionierroboters anhand eines Anwendungsbeispiels aus der Textilindustrie demonstriert wurden, lag es nahe, auch bei unserer manuellen Kommissionierung den Einsatz eines solchen Roboters zu prüfen.
ElektroWirtschaft: Vermutlich haben Sie den Roboter nicht einfach erworben, installiert und in Betrieb genommen. Auf welche Hürden bzw. Meilensteine blicken Sie zum heutigen Zeitpunkt zurück?
Dr. Dirk Jandura: In der Tat wäre es ideal gewesen, hier auf eine Out-of-the-box-Lösung setzen zu können. Uns war bewusst, dass wir kein „perfektes“ Produkt erwerben würden und es insofern ein steiniger Weg werden könnte. Bevor wir uns zur Investition entschlossen, haben wir zunächst einen LKW mit behälterfähigen Artikeln zur Knapp AG – dem Hersteller des Roboters – nach Graz gesandt, um herauszufinden, wie viele Artikel generell roboterkompatibel sind. Mit diesen Informationen wurde mittels der Schnittmenge von roboterfähigen Artikeln und typischen Auftragszusammensetzungen ein Business Case errechnet. Vom Ergebnis überzeugt, entschlossen wir uns zur Implementierung. An sich verliefen Installation, Integration und Inbetriebnahme auch weitestgehend unproblematisch. Allein aufgrund der Höhe der Investitionssumme waren jedoch an den Erfolg des Projektes hohe Erwartungen geknüpft. Ein von uns eigens dafür abgestelltes Team beschäftigte sich daher unentwegt mit dem Roboter und gab unseren Partnern von Knapp kontinuierlich und vor allem zahlreich Feedback. Die Produktivität des Roboters blieb zur Enttäuschung beider Seiten wegen aufwendiger Fehlerbeseitigungen überschaubar, sein Betreuungsbedarf jedoch hoch, was die Aufbruchsstimmung etwas trübte.
ElektroWirtschaft: Was brachte dann letztlich die Wende?
Dr. Dirk Jandura: Als Knapp vor etwas über einem Jahr begann, mit dem US-Start-up Covariant zusammenzuarbeiten, kam erneut Bewegung in das Vorhaben. Die kalifornischen Ingenieure sind auf das Thema Künstliche Intelligenz spezialisiert. Aufbauend auf ihren Forschungen an der Universität von Berkeley, entwickelten sie eine Software, die dem Roboter zu eben dieser künstlichen Intelligenz verhalf. Durch sogenanntes „Reinforcement Learning“, einer Art extremes Ausprobieren, erlernt der Roboter nun selbstständig neue Aufgaben. Das macht ihn in seiner Form einzigartig und sorgte folglich für allerlei Aufsehen innerhalb der Wissenschaft, was die Artikel der New York Times, MIT Technology Review oder Wired letztlich auch widerspiegelten.
ElektroWirtschaft: Der Roboter lernt praktisch andauernd. Ist der Lernprozess endlich?
Dr. Dirk Jandura: Der Roboter macht derzeit ständige Fortschritte: Er optimiert sein Kommissionierverhalten selbstständig und erweitert sein Artikelspektrum kontinuierlich. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die Lernkurve innerhalb des nächsten Dreivierteljahres etwas abflachen wird. Auslernen wird der Roboter wohl nicht, dafür sorgt allein die ständige Erweiterung unseres Sortiments. Das eigentlich Interessante aber ist, dass der Roboter nicht allein sein eigenes Erlerntes anwendet. Weitere Roboter lernen ebenfalls und teilen ihre Erfahrungen ortsunabhängig. Das jeweils Erlernte wandert in eine Cloud und steht so allen Robotern gleichermaßen zur Verfügung. Shared Intelligence nennt sich das und sie wird mit jedem weiteren eingesetzten Roboter an Dynamik gewinnen.
ElektroWirtschaft: Können Sie Aussagen zur Produktivität des Roboters treffen?
Dr. Dirk Jandura: Er ist inzwischen tatsächlich rund um die Uhr im Einsatz und hat seine Produktivität seit dem Einsatz künstlicher Intelligenz im September letzten Jahres etwa verdreifacht. Das bedeutet, dass er bei sehr einfachen Tätigkeiten in etwa auf das Niveau eines Menschen kommen kann. Bei optimalen Bedingungen wohlgemerkt, denn man darf bei diesem Vergleich nicht vergessen, dass der Einsatz des Roboters besonderen Aufwand und Sorgfalt im Bereich des Wareneingangs erfordert, denn die Quellbehälter müssen roboterfähig gepackt sein. Und der Roboter erfordert nach wie vor eine gewisse Betreuung: Zwei Mitarbeiter kümmern sich ständig um sein „Wohlergehen“.
ElektroWirtschaft: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist angespannt, da verspricht ein Roboter schnell die benötigte Entlastung. Wie gestaltet sich die Fachkräftesituation vor Ort?
Dr. Dirk Jandura: An unserem Standort in Ludwigsfelde hat sich aufgrund der verkehrsgünstigen Lage und der verfügbaren Flächen eine große Anzahl von Logistikdienstleistern angesiedelt. Entsprechend liegt die Arbeitslosenquote hier unter drei Prozent, was quasi Vollbeschäftigung bedeutet und uns zunehmend Probleme bei der Personalgewinnung bereitet. Unser Automatisierungsbestreben ist also auch von den demografischen Gegebenheiten vor Ort getrieben. Die Optimierung von Prozessen unter Zuhilfenahme neuer innovativer Technologien verspricht dabei ein wenig Abhilfe und Entlastung.
ElektroWirtschaft: Ungeachtet des schwierigen Arbeitsmarktes liegt die Frage natürlich nahe, wie die bestehende Belegschaft auf den neuen Kollegen reagierte.
Dr. Dirk Jandura: Dieser Gedanke beschäftigt uns fortwährend, schließlich ist es ja durchaus denkbar, dass die Inbetriebnahme neuer Technologien, insbesondere eines solchen Roboters, eher verunsichert. Umso mehr hat es uns gefreut, wie vorbehaltlos und aufgeschlossen man dem Thema vor Ort begegnete. Unseren Mitarbeitern ist bewusst, dass Mensch und Maschine nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern sich gut ergänzen. Ein Roboter kann einfache Tätigkeiten wie das Kommissionieren von Artikeln über einen langen Zeitraum in gleichbleibend hoher Qualität ausführen. Der Mensch kann schnell und flexibel auf neue Anforderungen reagieren und ist deutlich überlegen, wenn es um Improvisation und Lerngeschwindigkeit geht. Während der Roboter durch extremes Ausprobieren eher langsam lernt, erkennt und nutzt der Mensch die Abkürzung. Technologie wird den Menschen daher nicht ersetzen können, weder heute noch morgen. Jedoch wird es sicherlich eine Art Arbeitsverschiebung rund um das Thema Robotik geben und neuartige Jobprofile werden entstehen, die spannende Herausforderungen mit sich bringen.