ElektroWirtschaft: Ist spürbar, dass größere Vorräte anlegt werden? Wie sehen Handel und Handwerk das Thema Lieferfähigkeit?
Klaus Jung: Es gab vereinzelte „Bunkerkäufe“ bei einzelnen Produkten, die systemisch für den Baufortschritt sind. Wenn beispielsweise Drainage- oder Baurohre fehlen, stoppt die ganze Baustelle. Solche Produkte werden in größerer Stückzahl geordert, aber das ist keine generelle Tendenz. Wir stellen aber fest, dass das Vertrauen in Just-in-Time-Lieferungen stark nachgelassen hat. Deshalb wird lieber ein paar Tage vorher bestellt.
Dr. Hans Henning: Zur Lieferfähigkeit der Industrie habe ich nichts Negatives gehört. Wir erheben keine Daten zu möglichen Hamsterkäufen. Vorratskäufe sind für die Kunden auch nicht notwendig, da der Elektrogroßhandel von Betriebsuntersagungen ausdrücklich ausgenommen ist.
Ingolf Jakobi: Laut unserer Befragung spüren im Elektrohandwerk 30 Prozent der Betriebe Lieferengpässe bei Produkten aus den Bereichen Licht und Erneuerbare Energien. Das liegt möglicherweise daran, dass Italien und China wichtige Zulieferländer sind. Das kann auch bei PV-Modulen die Ursache sein.
ElektroWirtschaft: Wie können Sie jetzt als Verbände ihre Mitglieder in der Corona-Krise unterstützen? Was sind die Forderungen an die Politik?
Ingolf Jakobi: Krisenzeiten sollten Verbandszeiten sein, weil alle auf Unterstützung angewiesen sind und zwar schnell. Als Kompendium für die Krisenverwaltung und um sicherzustellen, dass wir die gesetzlichen Vorgaben erfüllen, stellen wir unseren Betrieben einen 41-seitigen Leitfaden zur Verfügung (www.zveh.de/coronavirus), zu dem es sehr positives Feedback gibt. Unsere Umfrage zeigt uns, wo wir noch Hilfe leisten können. Wir bündeln die Forderungen an die Politik und kommunizieren diese über den Gesamthandwerksverband. Die Politik hat glücklicherweise schnelle Maßnahmen verabschiedet, aber leider ist der Verwaltungsaufwand teilweise noch sehr hoch oder sogar unüberwindbar: Wenn zum Beispiel ein Handwerksunternehmen mit zehn Mitarbeitern für ein KfW-Darlehen in der Corona-Krise geschätzte Jahresabschlüsse für 2020 und 2021 vorlegen muss. Wer das fordert, weiß nicht, wie ein mittelständischer Handwerksbetrieb funktioniert. Grundsätzlich sind wir sehr froh darüber, dass das Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat, bestätigt hat, dass das Elektrohandwerk und der Elektrogroßhandel zu den kritischen Infrastrukturen zählen und damit systemrelevant sind. Das ist auch ein Mobilitätsschutz, falls es zu Ausgangssperren kommt. Um unserer Verantwortung gerecht zu werden, stehen wir in engem Austausch mit den Partnern des dreistufigen Vertriebsweges.
Dr. Hans Henning: Auch für den VEG sind zeitnahe und praxisgerecht aufbereitete Informationen gerade essenziell. Wichtig ist zudem, dass wir parallel unsere normale Arbeit weitermachen. Die Bestätigung der grundsätzlichen Systemrelevanz hat uns und unsere Mitglieder ebenfalls sehr gefreut. Das hat auch einen hohen symbolischen Wert. Es unterstreicht die Wertschätzung unserer Arbeit für die Gesellschaft und bedeutet, dass die Lieferkette gesichert sein muss.
Klaus Jung: Man sieht jetzt, wie wichtig Verbandsstrukturen sind, um den Mitgliedern und Partnern Lageeinschätzungen zu vermitteln. Der ZVEI steht darüber hinaus in engem Austausch mit der Politik. Unsere Argumentation ist dabei eindeutig: Jeder Differenzierungsversuch von Branchen in systemrelevant und nicht-systemrelevant muss scheitern. Die gesamte Industrie ist systemrelevant, das System muss erhalten bleiben. Des Weiteren sprechen wir sehr deutlich an, dass der bürokratische Aufwand für die Hilfsmaßnahmen für den Mittelstand zu hoch ist. Überhaupt: Es sind die Unternehmen selbst, die zurzeit die entscheidenden Maßnahmen treffen, um der Coronakrise zu trotzen. Drei Prinzipien stehen im Vordergrund: Erstens, oberstes Prinzip ist die Sicherheit der Mitarbeiter und Kunden. Zweitens gilt es die Geschäftskontinuität zu wahren und schließlich, drittens, „Cash and Cost“ täglich im Blick zu halten, um Liquidität zu steuern und Kosten zu kontrollieren. Wobei wir nichts von Liquiditätsproblemen vernehmen, zumal die Branche ein gutes erstes Quartal hatte. Grundsätzlich verfügt die Elektroindustrie insgesamt über eine hohe Eigenkapitalquote. Da gibt es Puffer, aber natürlich gibt es auch Unternehmen, die schwächer aufgestellt sind. Die Hersteller planen aktuell Szenarien mit partieller Kurzarbeit, Stundenkonten- und Urlaubsabbau. Je länger die Coronakrise mit den Beschränkungen des öffentlichen Lebens dauert – zurzeit gehen wir von Beeinträchtigungen bis Ende April aus und einer anschließenden Markthochlaufphase von bis zu vier Wochen – desto schwieriger wird die Lage zu meistern sein.
Ingolf Jakobi: Bei uns ist die Lage in den Unternehmen sehr unterschiedlich. Einige haben eine ausreichend dicke Eigenkapitaldecke, aber viele könnten keinen längeren Umsatzausfall überstehen. Zwischen vier und sechs Wochen wären für die meisten machbar, aber danach würde es für die Mehrzahl schwierig. Fast ausnahmslos stehen alle zu ihren Mitarbeitern und sehen Kündigungen nur als Ultima Ratio (bislang nur bei 2,5 Prozent). Momentan ist das am meisten gebrauchte Instrument der Abbau von Arbeitszeitkonten und die Aufforderung, Urlaubstage zu nehmen. Dann erst kommt Kurzarbeit, die viele schon beantragt haben. Man will die Menschen in den Unternehmen beisammenhalten, weil wir nach den Hochlauf sicherlich schnell wieder den Fachkräftemangel spüren werden.
Klaus Jung: Auch unsere Unternehmen wollen angesichts der guten Baukonjunktur an ihren Strukturen festhalten und mit den Belegschaften wieder durchstarten, sobald die Krise überwunden ist. Kurzarbeit hilft dabei, etwa wenn Außendienstmitarbeiter infolge von Kontaktsperren ihrer Arbeit nicht nachgehen können. Angesichts der Unsicherheit, wie lange uns die Pandemie noch Restriktionen auferlegen wird, stellen sich womöglich noch ganz andere Fragen: Wie wir uns in Deutschland und Europa aufstellen müssen, um eine starke Wirtschaft zu erhalten, die das Gesamtsystem finanziert.