Europa lässt große Teile des KI-Potenzials ungenutzt. Nach Prognosen des McKinsey Global Institute (MGI) kann die EU-28 ihre Wirtschaftsleistung (BIP) durch eine konsequente Fokussierung auf künstliche Intelligenz (KI) bis 2030 um rund 2,7 Billionen Euro oder 19 Prozentpunkte steigern, ohne negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Derzeit liegt Europa bei der Entwicklung und Verbreitung digitaler Technologien weit hinter Weltmarktführer USA und auch China zurück. In der KI droht das Gleiche. Voraussetzung für eine Aufholjagd ist, dass Europa die aktuellen Digital- und KI-Fähigkeiten weiterentwickelt und verbreitert.
Die Ergebnisse sind Teil der Studie “Notes from the AI frontier: Tackling Europe’s Gap in Digital and AI”. Das MGI, der volkswirtschaftliche Think Tank der Unternehmensberatung McKinsey, hat darin Europas Chancen untersucht, zu Vorreiternationen im Bereich KI aufzuschließen und gleichzeitig neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Studie kombiniert Forschungsergebnisse mit drei 2017 und 2018 durchgeführten globalen Studien, für die das MGI weltweit insgesamt über 20.000 Führungskräfte aus verschiedensten Branchen zur weiteren Entwicklung der KI in Europa befragt hat.
Digitale Defizite führen zu KI-Defiziten
Bereits 2016 fand das MGI heraus, dass die europäischen Länder nur zwölf Prozent ihres gesamten digitalen Potenzials nutzen; das sind nur zwei Drittel des in den USA erschlossenen Potenzials. Dieses Potenzial ist definiert als der branchenübergreifende gewichtete Einsatz von digitalen Vermögenswerten, Arbeitskräften und Praktiken, gemessen am Sektor mit dem höchsten Digitalisierungsgrad.
Daten aus McKinseys Digitalumfrage von 2017 zeigen, dass der Rückstand auch 2017 immer noch bei rund 35 Prozent lag. Das BIP der EU erreicht rund 90 Prozent von dem der USA und liegt knapp vor der Wirtschaftsleistung Chinas. Doch beim rein über digitale Kanäle erzielten Anteil des Umsatzes von Europas IKT-Sektor (Informations- und Kommunikationstechnologie) gibt es erhebliche Unterschiede: Während er in Deutschland heute nur rund 1,7 Prozent des BIPs ausmacht, sind es in China 2,1 Prozent und in den USA 3,3 Prozent. Deutschland liegt mit 1,5 Prozent sogar noch unter dem europäischen Durchschnitt. Große westeuropäische Unternehmen haben zwar ihren Einsatz moderner Digitaltechnologien ausgeweitet, aber der Anteil voll digitalisierter Unternehmen ist zwischen 2010 und 2016 um weniger als zehn Prozent pro Jahr gestiegen.
Trotz der aktuellen Zahlen kommt das MGI zu dem Schluss, dass Europa in der KI einen erheblichen Mehrwert schaffen und zu den führenden KI-Nationen USA und China aufschließen kann. Allerdings gibt es erhebliche Potenzialunterschiede zwischen den 28 EU-Mitgliedsstaaten und den einzelnen Sektoren. Abgesehen von einigen skandinavischen Ländern hinkt Europa den USA bei der Einsatzfähigkeit von KI (“AI-Readiness”) weit hinterher. Deutschland liegt mit seiner KI-Einsatzfähigkeit im globalen Mittelfeld. Auf den Spitzenreiter USA folgen Großbritannien, Schweden, Finnland, Irland Estland und China. Zur Spitzengruppe der Top-25-Prozent gehört Deutschland bei den Komponenten Automation, Innovation sowie menschliche Fähigkeiten und Kompetenzen. Unterdurchschnittlich ist hingegen der Wert bei der Gründung junger KI-Unternehmen.