Gemeinsam Werte schaffen – so lautet das Motto der FEGIME Deutschland, dem Zusammenschluss mittelständischer Elektrogroßhändler. Der Service steht Kunden auch über eine internationale Organisation in aktuell 28 Ländern zur Verfügung, welches von insgesamt 230 Großhändlern repräsentiert wird. Im Interview mit der ElektroWirtschaft erklären David Garratt, Geschäftsführer der FEGIME, und Arnold Rauf, Geschäftsführer FEGIME Deutschland, die Schwerpunkte der Organisation und die anstehenden Generationswechsel im Mittelstand, spannen den Bogen zu FEGIME International und zeigen auf, welche Chancen die digitale Transformation der Branche bietet.
ElektroWirtschaft: Die FEGIME-Großhändler haben sich mehrheitlich an einem IT-Systemhaus beteiligt. Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Arnold Rauf: Das Software- und IT-Systemhaus Geneon GmbH setzt sich aus 30 Entwicklern zusammen. Aktuell bilden wir über das Unternehmen die Bereiche der Stammdaten, Web to Print, den Online-Shop und unsere App ELEKTROtools ab. Mit der Beteiligung möchten wir diese bestehenden Dienstleistungen und unsere Mitarbeiter-Exzellenz absichern. Intern haben wir ein kleines IT-Team und mit der Firma Geneon haben wir ganz andere Möglichkeiten, hochwertiges IT-Personal für die Zukunft zu bekommen. Geneon arbeitet und agiert weiterhin selbständig und nicht ausschließlich für uns. Wir möchten die Befruchtung aus anderen Branchen als wertvollen Input mit aufnehmen und keine Monokultur bilden.
David Garratt: Die gleiche Stammdaten-Strategie fahren wir auch international. Unsere internationalen Projekte basieren auf dem deutschen Vorbild. Was wir also in Deutschland absichern, wird international 1:1 weitergetragen. Erste Projekte haben wir in diversen Ländern umgesetzt. In Frankreich befinden wir uns mitten im Prozess.
ElektroWirtschaft: Wo stehen wir in puncto digitale Transformation mit der Elektrobranche? Wie ist FEGIME dafür aufgestellt?
David Garratt: Aus internationaler Sicht ist der Status quo je nach Land ganz unterschiedlich. Je nördlicher sich der Blick geographisch richtet, desto digitaler agieren die Menschen. Die dänischen Kollegen beispielsweise sind ein Musterbeispiel für die Digitalisierung, werden jedoch auch vom Markt getrieben – das Gleiche gilt für die anderen skandinavischen Länder. Die Benelux-Union ist in Sachen Digitalisierung ebenfalls ein gutes Beispiel. Selbstverständlich ist das Großprojekt Digitalisierung auch in Deutschland angekommen. Je weiter wir allerdings nach Süden blicken, desto eher befinden wir uns noch in den Kinderschuhen. Allerdings profitieren gerade diese Länder von unseren Projekten mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Als Gruppe ist der Sprung zu bewältigen, als einzelnes Unternehmen ist das ein schwieriges Unterfangen.
Arnold Rauf: Ich sehe es als große Chance für den Elektrogroßhandel, dass unsere Branche in puncto digitaler Transformation noch nicht ganz vorne steht. Es ist von Vorteil, dass die Digitalisierung erst im B2C-Bereich und in anderen Branchen Einzug gehalten hat. Wir haben noch das Zeitfenster, uns anzupassen. Die FEGIME hat die Alleinstellung, dass wir unsere digitalen Themen zentralisiert haben und gemeinsam – nicht nur individuell – an Lösungen gearbeitet wird.
ElektroWirtschaft: Helfen Lösungen wie ETIM, ELBRIDGE und Open Datacheck, um Prozesse zu optimieren?
Arnold Rauf: Ja, definitiv. Im Stammdatenbereich ist ETIM bei uns die Basis für alles. Auf Open Datacheck setze ich große Hoffnungen. Hier können wir tatsächlich die Qualität oder auch den Standard der Daten in der Branche erhöhen. Wie bei allen IT-Dienstleistungen in der Elektrobranche muss die Sprunghöhe für neue Player auf dem Markt höher gesetzt werden – viele Prozesse werden bei uns branchenintern schon digital gelöst. Wenn wir aber ELBRIDGE als Beispiel nehmen, ist diese Lösung meiner Meinung nach noch in den Anfängen. Die technische Basis ist vorhanden, allerdings fehlt noch die Nutzung seitens der Kunden. Es ist unsere Aufgabe, dies verstärkt zu kommunizieren.
ElektroWirtschaft: Gibt es ähnliche Bestrebungen in anderen Ländern? Ist das mit Deutschland vergleichbar oder eher ein Nord-Süd-Gefälle?
David Garratt: Ein Nord-Süd-Gefälle ist bei der digitalen Entwicklung grundsätzlich immer vorhanden. Ich würde sogar einen Schritt weitergehen und sagen: Bezogen auf die Stammdaten sind viele europäischen Länder hinsichtlich nationaler Standards schon weiter als Deutschland. So werden die Daten in den Niederlanden zentral für das Land erstellt, die Handlungsaufforderung für den Großhandel hält sich daher in Grenzen. Wie wir aber bereits festhalten konnten, je weiter südlich Sie auf der europäischen Karte wandern, desto schwächer ist der Fortschritt. Das stellt sich aber auch als Chance dar, in den betreffenden Ländern die Nummer eins zu sein. Spanien, Italien und Portugal nehmen unsere Services wahr.
ElektroWirtschaft: Wie beurteilen Sie das Eindringen neuer Marktplayer, Plattformen wie Amazon und sonstiger Pure Onlineplayer – gerade auch im Vergleich mit anderen Ländern? Fordern B2C-Plattformen den dreistufigen Vertrieb heraus?
Arnold Rauf: Dem Endkunden werden adäquate Produkte und Services geboten. Für diesen Fall haben wir den dreistufigen Vertrieb, selbstverständlich sind aber auch andere Vertriebswege möglich. Es muss offensichtlich sein, welcher Mehrwert durch unser Handeln für den Lieferanten, den Großhandel und den Handwerker entsteht. Wenn der Endkunde auch bereit ist, für diesen Service und Mehrwert zu bezahlen, dann haben wir unsere Aufgabe gut gemacht. Amazon ist natürlich auf dem Markt. Der B2C-Bereich war nur der erste Schritt. Aus meiner Sicht ist Protektionismus allerdings falsch und erbringt nur eine kurzzeitige Wirkung. Bestehende oder neue Player bieten die Chance, die eigene Dienstleistungskompetenz zu überdenken und auszuweiten – anstelle Strategien zur Vermeidung zu entwickeln.
David Garratt: Wir müssen beweisen, dass wir als Großhandel relevant sind und das funktioniert am besten durch Dienstleistungen. Solange der dreistufige Vertrieb sich als Selbstzweck sieht, kann das nicht funktionieren. Bedingt durch unsere relativ komplexen Produktgebiete haben wir gegenüber den Plattformen einen großen Vorteil, die nur generelle Produkte vertreiben.
ElektroWirtschaft: Ist die Funktionsfähigkeit des dreistufigen Vertriebs auf langfristige Sicht gefährdet?
Arnold Rauf: Die Bereitschaft zur Veränderung muss da sein – wir sprechen von der digitalen Transformation. Nehmen Sie beispielsweise das Elektrohandwerk mit einem Onlineanteil von circa 25 Prozent in der Branche. Man ist also noch relativ traditionell unterwegs. Wir sehen allerdings, dass sich die Aufstellung des Handwerks verändert. Die Anspruchshaltung der Endkunden wird größer und selbstbewusster, sie sind inhaltlich und preislich nun besser informiert. Darauf muss die Branche Antworten haben.
David Garratt: In Zeiten des Fachkräftemangels wird man effizienter arbeiten müssen. Wenn Effizienz nicht durch die eigenen Fachkräfte erreicht werden kann, werden digitale Lösungen die Zeitersparnis und Co. erbringen.
Arnold Rauf: Auch für den Großhandel wird es schwieriger. Die klassische Lieferung wird nicht mehr im Vordergrund stehen – die Aufgaben ändern sich. Digitale Lösungen für Industrie- und Handwerksbetriebe müssen umgesetzt werden. Gerade das Stichwort 4.0: Dieses muss vom Großhandel aktiv begleitet und unterstützt werden. Industrie 4.0 wird nicht funktionieren, wenn sich ein industrieller Kunde mit zahlreichen Lieferanten verbinden muss. Hier ist die Chance des Großhandels. Für den mittelständischen Großhandel ist die Spezialisierung wichtig, um die Dienstleistungen auch in der Tiefe anbieten zu können.
ElektroWirtschaft: Wird BIM die Prozesse des dreistufigen Vertriebs tiefgreifend verändern, insbesondere in der Beschaffung und des Zeitpunktes der Auswahl der verbauten Produkte?
Arnold Rauf: Beim Thema BIM sind wir in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Die Idee ist gut und wird in den ersten Projekten umgesetzt. Im Tagesgeschäft begegnet uns BIM momentan noch nicht. Als Großhandel müssen wir darauf vorbereitet sein, im Sinne der Datenstruktur sind wir das aber auch. Die Hauptarbeit liegt hier tatsächlich auf der Industrieseite, wir müssen hierbei in der Lage sein, die Daten entsprechend zu verarbeiten.
ElektroWirtschaft: Die FEGIME ist ja ein Verbund kleiner und mittlerer familiengeführter Großhändler. Sind die eingeschränkten Synergien in Einkauf und Logistik gegenüber den Konzernen auf Sicht zu kompensieren? Hat der Mittelstand im Elektrogroßhandel eine Chance, auch in der Zukunft zu bestehen?
Arnold Rauf: Bei meinem Brancheneinstieg vor 28 Jahren wurde die gleiche Frage gestellt: Hat der Mittelstand eigentlich noch eine Berechtigung? Und diese Frage wiederholt sich regelmäßig. Wenn ich die Marktanteile sehe, dann hat sich der Mittelstand gut behauptet. Wir haben hier einen besonderen Weg gefunden. Für uns sind nicht nur die Größe und Stärke eines Unternehmens entscheidend, sondern auch die Kooperationsfähigkeit. Genau das versuchen wir umzusetzen. Einheitliche Stammdaten, einheitliche Warenwirtschaft und ein einheitlicher Onlineshop – so können wir nicht nur Synergien für jeden Einzelnen nutzen, auch die Verknüpfung untereinander wird vereinfacht. Die Anforderung des Marktes ist eine garantierte Lieferung binnen 24 Stunden. Diese Thematik professionalisieren wir stetig weiter, bei 50 Unternehmen sind aber natürlich verschiedene Anpassungsgeschwindigkeiten vorhanden. Aus logistischer Sicht können wir uns gegen die Konzerne behaupten. Neben der Kostenoptimierung schenken wir der Ausweitung des Services große Beachtung. Welchen Service braucht der Kunde? Das wird von der FEGIME und ihren Großhändlern analysiert und die Prozesse werden entsprechend angepasst. In Bezug auf den Einkauf appellieren wir an die Vernunft der Lieferanten und zeigen die Vorteile der mittelständischen Großhändler auf: Kundennähe, Marktnähe und schnelle Reaktionsfähigkeit. Das sind Dinge, die mit größerer Effektivität im Mittelstand umzusetzen sind als möglicherweise mit größeren Organisationen. Ich sehe für die FEGIME-Großhändler viele Chancen und keinen Grund, warum sie heute schlechter dastehen sollten als vor dreißig Jahren.
David Garratt: Auch international möchten wir im Sinne des Kundendienstes ein ähnliches System für alle Mitgliedsländer in Europa und darüber hinaus etablieren: Einheitliche Stammdaten, einheitliche Warenwirtschaft und ein einheitlicher Shop. Wenn wir einzelne Länder betrachten, sind wir bereits die Nummer eins auf dem Markt, wie beispielsweise in Polen, Griechenland, Russland, Argentinien und Portugal.
ElektroWirtschaft: Welche Vorbereitungen haben Sie getroffen, um beim Generationswechsel die Unternehmen in der FEGIME zu halten? Ist FEGIME nicht in der Gefahr in Zukunft zu schrumpfen?
David Garratt: Wir haben diese Gefahr bereits seit Langem erkannt und haben daher vor über zehn Jahren die FEGIME Future Organisation ins Leben gerufen. Die Organisation ist für unsere Nachwuchsmanager, also für die Kinder unserer Mitglieder, bestimmt. 2008 fand das erste Treffen mit Lieferanten statt, inzwischen hat die Gruppe immer mehr an Bedeutung gewonnen. Wir versuchen den Generationswechsel so effizient und reibungslos wie möglich zu gestalten. Dazu bieten wir den Nachwuchskräften die bestmöglichen Voraussetzungen, um ihre Unternehmen erfolgreich zu übernehmen und in die Zukunft zu führen. Ein Treffen der Organisation findet daher mindestens drei Mal im Jahr statt. Zwei Meetings bei ausgewählten Lieferanten, das große Treffen im Oktober wird als MBA-Level Woche gestaltet. Wir arbeiten mit verschiedenen Business Schools zusammen und legen die Themen und Referenten selbst fest. Inzwischen haben wir 40 bis 50 New Generations aus circa 15 FEGIME-Ländern vor Ort. Die Ausbildungswochen werden von der Gruppe aber selbst bestimmt und gesteuert.
Arnold Rauf: Neben der individuellen Ausbildung schaffen wir damit unser Netzwerk. Das, was wir international ursprünglich in unseren Köpfen gebildet haben, ist nun in den Herzen vorhanden. Die Übernahme des eigenen Unternehmens wird auch interessanter, denn die New Generation erkennt: Ich bin nicht nur ein regionaler Großhändler, sondern ich bin Teil eines europäischen bzw. weltweiten Netzwerkes. Das schafft für die jungen Leute auch eine besondere Attraktivität. Wir können festhalten, dass 2019 national und international das höchste Umsatzjahr der Unternehmensgeschichte war.
ElektroWirtschaft: Die FEGIME ist in 28 Ländern vertreten. Warum ist die Erweiterung in außereuropäische Bereiche wie Lateinamerika strategisch bedeutend?
David Garratt: Wir wollen überall dort expandieren, wo es für unsere Mitglieder von Vorteil ist. In Argentinien haben wir beispielsweise eine gut funktionierende Unternehmensgruppe gefunden, welche von Haus aus bereits nach unseren Prinzipien aufgebaut wurde. In anderen Ländern muss dies erst erarbeitet werden. Wir möchten unseren Umsatz durch diese Erweiterungen nicht zwingend in die Höhe treiben, sondern Vorteile für alle Beteiligten schaffen. Wir lernen voneinander über die deutschen und europäischen Grenzen hinaus. Mittelfristig haben wir das Ziel, FEGIME für 300 Millionen Menschen zusätzlich weltweit zugänglich zu machen.
ElektroWirtschaft: Welche Schlagzeile wünschen Sie sich für das anstehende Jahr 2020?
Arnold Rauf: „Mittelstand im Elektrogroßhandel weiter auf dem Vormarsch“