„Wir müssen besonders den Mittelstand von Bürokratie entlasten und dafür dringend die Digitalisierung technologieoffen vorantreiben.“ So lautet die einhellige Forderung der Veranstalter des 1. Deutschen Lieferkettentages am 18. Oktober in Berlin. Zur Veranstaltung mit etwa 150 Teilnehmern hatten der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh), der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) und “Der Mittelstandsverbund” ZGV) eingeladen, um über Regulierung und Digitalisierung des globalen Handels zu diskutieren. „Die bürokratischen Herausforderungen für die Unternehmen sind groß und die Entlastung für kleine und mittelständische Unternehmen wirkt de facto nicht, weil Berichtspflichten weitergegeben werden. Digitale Lösungen wie Beschaffungsplattformen und KI-basierte Risikoanalysen für Lieferketten schaffen auf der anderen Seite Transparenz in den Wertschöpfungsketten und helfen, die richtigen Prioritäten zu setzen“, sagte Gero Furchheim, Präsident des bevh, zur Eröffnung.
Inhaltlich begann der Tag mit einem forschungsbasierten Blick auf Lieferketten und Change-Management-Prozesse von Prof. Dr. Lisa Fröhlich von der Cologne Business School. Sie bezeichnete Nachhaltigkeit als derzeit wichtigstes Thema bei der Ausgestaltung von Lieferkettenprozessen. Die deutschen Unternehmen sollten nicht länger versuchen, die Spielregeln zu ändern, sondern das gesamte Spielfeld neu begreifen.
Marius Müller-Böge, Leiter Mittelstandspolitik ZGV, sprach in seinem Panel mit Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) sowie die Bedeutung eines umfassenden Lieferkettenmonitorings. „Uns ist bewusst, was das für einen Umsetzungsumfang für die Unternehmen bedeutet. Gerade bei den Berichtspflichten gibt es Sorgen und Nöte. Wir wollen handhabbare Regelungen schaffen, die umsetzbar und zumutbar sind. Wir treten dabei für eine europäische Regelung ein”, so Lilian Tschan, Beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Prof. Dr. Michael Eßig, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Universität der Bundeswehr München dazu: „Es ist nicht nur eine normative Frage, sondern vor allem auch wirtschaftliche Frage, wie man Lieferketten organisiert. Der Handel spielt dabei eine wichtige Rolle.“ – und machte gleichzeitig das Ausmaß des Gesetzes noch einmal deutlich: „Hinter den deutschen Lieferanten steht eine globale Lieferkette mit 16 bis 18 Stufen“. Lieferketten mit heutigen Mitteln bis in die letzte Instanz transparent zu machen, sei deshalb oft unmöglich.
Digitalisierung im Handel könne allerdings viel Entlastung bringen, wie im nächsten Podium unter Moderation von Martin Groß-Albenhausen, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des bevh, deutlich wurde: Die Möglichkeiten der Blockchain könnten als ein manipulationssicherer und automatisierter Signalgeber zwischen Partnern dienen, Aufwände der Unternehmen würden dadurch dramatisch sinken. Die Blockchain könne jedoch nicht selbst verifizieren, ob ESG-Standards am Endpunkt tatsächlich eingehalten werden. Diese Lieferantenüberwachung könne aber gut durch ein globales Risiko-Monitoring mit künstlicher Intelligenz und Zertifizierungen über digitale Beschaffungsplattformen gelingen.
Torsten Safarik, Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) warnte Unternehmen dahingehend eindringlich davor, ihre Sorgfaltspflichten auf ihre Zulieferer und Intermediäre abzuwenden. Das LkSG lege ausdrücklich eine Bemühenspflicht für jedes Unternehmen fest, die Lieferkettenüberwachung zu einer Kernkompetenz im eigenen Haus zu machen.
„Die bestehenden Herausforderungen lassen sich nur im engen Schulterschluss von Politik und Wirtschaft meistern. Der Mittelstand steht hier besonders im Fokus, denn die oft kleinen und mittleren Unternehmen sind essenziell auf lieferkettenfreundliche Rahmenbedingungen angewiesen.
Transparenz entlang der Lieferketten
Diese zu schaffen und abzusichern, ist ein verbändeübergreifendes Anliegen“, betonte Dr. Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer ZGV, im Panel „Bekommt Deutschland ein neues Geschäftsmodell?“. Gleichzeitig müssten aber auch die Chancen gesehen werden, die das Lieferkettengesetz etwa für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle biete. Sichtbar werde das im Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe, das für kleine und mittlere Unternehmen digitale Technologien für ein besseres Lieferkettenmanagement entwickeln soll. Dazu berichtete Tim Geier, Projektleiter und Geschäftsführer Büro Brüssel ZGV. „Hier geht es vor allem um technische Verbesserungen der Transparenz entlang der Lieferkette und erste Anwendungsfelder, die dann an die Mittelständler herangetragen werden sollen. Natürlich spielt dabei das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz eine Rolle, denn am Ende müssen sich die Handelsstufen näherkommen und miteinander kommunizieren.“
MIT-Vorsitzende Gitta Connemann berichtete von ihren Erfahrungen mit der Umsetzung des Lieferkettengesetzes. „Bisher hat das Gesetz nichts für den Schutz der Menschenrechte getan, es führt nur zu einem Rückzug von deutschen Unternehmen in kritischen Regionen. Das lässt Platz für andere globale Player, deren Standards in allen Bereichen niedriger sind als unsere.“
In seinem abschließenden Statement betonte Eckhard Schwarzer, Präsident ZGV, noch einmal die herausragende Bedeutung des Lieferkettenmonitorings gerade vor dem Hintergrund der globalen Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Die Unternehmen im Mittelstand müssten daher beides zusammen denken, um langfristig erfolgreich zu sein. Die ausrichtenden Verbände unterstützten sie hierbei tatkräftig und würden aufgrund der dynamischen Entwicklung der Rahmenbedingungen auch in Zukunft in ihrem Einsatz nicht nachlassen. Deshalb freue er sich bereits auf den nächsten Deutschen Lieferkettentag im Jahr 2024.