Wie alle Wirtschaftszweige leidet der Großhandel unter dem eklatanten Arbeitskräftemangel. grosshandel-bw nahm dieses Thema am 18. Juli beim Tag der Unternehmen 2023 im Look 21 in Stuttgart mit der Vorsitzenden des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit Andrea Nahles unter die Lupe.
Nach Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufs-forschung (IAB) haben die offenen Stellen 2022 den Höchststand von 1,93 Mio. erreicht. Der Fach- und Arbeitskräftemangel hat mittlerweile alle Wirtschaftszweige erfasst, so auch den Großhandel. Doch hier fehlt es nicht nur an gut ausgebildeten Fachkräften, sondern vor allem können Arbeitsplätze im Bereich Lagerlogistik sowie die dringend benötigten LKW-Fahrer teilweise nicht mehr besetzt werden.
Ulrich Gutting, Präsident von grosshandel-bw, Verband für Dienstleistung, Groß- und Außenhandel Baden-Württemberg e.V. mahnt: „Der Großhandel gewährleistet die Versorgung von Gesellschaft und Wirtschaft mit allen benötigten Gütern. Wenn der Großhandel die notwendigen Stellen in Zukunft nicht mehr besetzen kann, drohen weitere Kostensteigerungen und erhebliche Versorgungsengpässe. Ohne funktionierenden Großhandel bleiben die Regale im Einzelhandel leer und Industrie und Handwerk werden ausgebremst.“ Deshalb stellt der Verband folgende Forderungen an die Politik:
1. Besseres Ausschöpfen des inländischen Arbeitskräftepotenzials durch verbesserte Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und flexiblere Arbeitszeitregelungen im Gesetz.
Präsident Ulrich Gutting: „Politik und Arbeitgeber müssen gemeinsam dafür sorgen, dass bestehende Arbeitskräftepotenziale gehoben werden. Wir brauchen flexible Arbeitszeitregelungen und ausreichend Betreuungseinrichtungen, um die Erwerbstätigkeit von Frauen, Teilzeitbeschäftigten und älteren Beschäftigten zu steigern. Anreize für früheren Ruhestand und die Idee der 4-Tage-Woche gehen in die völlig falsche Richtung“.
2. Die Stärkung der betrieblichen Aus- und Weiterbildung muss als gemeinsames Ziel aller Beteiligten wie Politik, Schulsystem, Arbeitgebern und Arbeitsagenturen verstanden werden.
Präsident Ulrich Gutting: „Der Groß- und Außenhandel bildet bis zu 60.000 Aus-zubildende in mehr als 40 Berufen aus. Es gibt keinen Mangel an Ausbildungsplät-zen sondern eine erhebliche Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage bei Berufswünschen und in räumlicher Hinsicht – also ein Matching-Problem. Die Ausbildungsberufe im Groß- und Außenhandel bieten tolle Entwicklungs- und Aufstiegschancen und sind viel mehr als eine bloße Alternative zum allseits bestehenden Akademisierungswahn.
3. “Die Gewinnung von Arbeitskräften aus dem Ausland – vor allem aus Drittstaaten – muss dringend und zügig weiter verbessert werden.
Präsident Ulrich Gutting: „Wir werden nur mit gezielter und gesteuerter Zuwan-derung in den deutschen Arbeitsmarkt den Bedarf decken können. Somit geht das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zwar in die richtige Richtung, doch wir brauchen wesentlich mehr Tempo bei der praktischen Umsetzung und damit zügigere Verwaltungsverfahren. Wer monatelang auf ein Visum warten muss, sucht sich ein anderes Einsatzland. Auch die fehlende Berücksichtigung der Zeitarbeitsbranche, die über erhebliche Netzwerke und Erfahrungen bei der Rekrutierung im Ausland verfügt, ist kurzsichtig. Es darf hier keine ideologischen Grenzen geben.“
4. Der Ausbau der Digitalisierung in Deutschland muss durch geeignete Anreize und Fördersysteme weiter vorangetrieben werden.
Präsident Ulrich Gutting: „Der Arbeitskräftebedarf kann auch durch stärkere Digitalisierung und Automatisierung entspannt werden – Stichwort KI. Hier müssen auf politischer Ebene Hemmnisse abgebaut werden, welche KMUs bei der Digitalisierung von Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen ausbremsen. Nicht nur Unternehmen müssen moderner, flexibler und digitaler werden, sondern auch staatliche Dienstleistungen für Bürger und Unternehmen. Deutschland braucht endlich eine leistungsfähige und effiziente digitale Administration in Bund, Ländern und Kommunen. Im Vergleich mit anderen Staaten Europas hängen wir in Deutschland weit hinterher.“