Von der Rekord-Inflation über den russischen Angriffskrieg und die Corona-Pandemie bis hin zum Klimawandel: Die aktuellen Krisen machen auch vor der Bauindustrie nicht halt. Sechs von zehn Unternehmen geben an, dass sie die aktuelle Weltlage deutlich zu spüren bekommen – etwa in Form von Lieferkettenverzögerungen, steigendem Kostendruck und sinkender Nachfrage. Während es in Sachen Nachhaltigkeit voran geht, stockt die Digitalisierung in der Branche. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Befragung im Auftrag von PwC Deutschland unter 100 Bauunternehmen, Planern und Projektsteuerern.
„Die Auswirkungen der aktuellen geopolitischen Lage treffen die Bauunternehmen mit voller Wucht: Neben Problemen in der Lieferkette leiden die Firmen unter den steigenden Rohstoff- und Energiepreisen, wachsendem Kostendruck und einem anziehenden Zinsniveau”, erklärt Rebekka Berbner, Partnerin bei PwC Deutschland im Bereich Capital Projects & Infrastructure.
Laut Studie klagen neun von zehn Unternehmen über volatile Preisentwicklungen sowie Probleme in der Lieferkette. Auch die Verfügbarkeit von Ressourcen wie Roh- und Baustoffen und der zunehmende Kostendruck machen 88 bzw. 87 Prozent der Unternehmen zu schaffen. Insbesondere für die Planer und Projektsteuerer stellen auch die steigenden Zinsen ein großes Problem dar (78 Prozent). Mehr als jedes zweite Bauunternehmen berichtet zudem, dass Projekte wegfallen und Umsätze einbrechen.
Die Branche steht vor großen Veränderungen
Die Mehrheit der Befragten sieht in Folge der aktuellen Lage große Veränderungen auf die Baubranche zukommen: Zwei Drittel wollen in Zukunft neue Geschäftsfelder entwickeln; 57 Prozent richten ihr Unternehmen neu aus. Knapp die Hälfte will in den kommenden Jahren eine Umstrukturierung des Lieferantenportfolios und der Unternehmensorganisation vornehmen.
Bei der Digitalisierung kommt die Branche nicht vom Fleck
Ein wichtiger Mosaikstein, um in Krisenzeiten erfolgreich zu bleiben, könnten innovative Technologien sein. Aber gerade in diesem Bereich zeigt die Studie keine Fortschritte im Vergleich zu den Vorjahren: Zwar attestiert jede:r zweite Befragte dem eigenen Unternehmen einen hohen Digitalisierungsgrad. Diese Zahl stagniert jedoch.
Gut aufgestellt sieht sich die Mehrheit der Befragten bei der Digitalisierung ihrer administrativen Prozesse und Projektprozesse. Als ausbaufähig betrachten rund sechs von zehn Befragten die Digitalisierung ihrer operativen Prozesse und die Anwendung digitaler Lösungen wie Building Information Modelling (BIM) oder Virtual Reality.
Sorgen bereitet unseren Experten, dass sich die Lücke zwischen dem Potenzial digitaler Lösungen und den Fähigkeiten der Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr für viele Lösungen deutlich vergrößert hat.
„Während sich digitale Technologien immer schneller weiterentwickeln, gelingt es den Bauunternehmen nicht, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten und die für den gewinnbringenden Einsatz der Tools notwendigen Fähigkeiten aufzubauen.“ Rebekka Berbner, Partnerin bei PwC Deutschland im Bereich Capital Projects & Infrastructure.
Nachhaltiges Bauen gewinnt an Relevanz
Während die Branche in Sachen Digitalisierung scheinbar kaum vorankommt, nimmt das Thema Nachhaltigkeit an Fahrt auf: 83 Prozent der Befragten halten diesen Aspekt für wichtig – ein Plus von 15 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr.
Die Verantwortung nachhaltig zu wirtschaften, die auch die Bauindustrie als energie- und CO2-intensive Branche trägt, scheint der Mehrheit der Unternehmen mittlerweile bewusst zu sein: Rund 60 Prozent haben Nachhaltigkeitsstrategien verabschiedet. Besonders deutlich ist der Zuwachs von Strategien im Bereich Governance & Compliance: Sechs von zehn Unternehmen verfügen hier mittlerweile über eine Strategie (Vorjahr: 49 Prozent).
Nachholbedarf bei der Umsetzung der ESG-Standards
Großen Nachholbedarf sieht die Studie jedoch in der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards. Zwar geben 61 Prozent der Unternehmen an, mindestens allgemeine Standards rund um Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (kurz: ESG) zu besitzen, aber nur jedes vierte Unternehmen setzt diese Standards auch vollumfänglich um. Handlungsbedarf besteht auch bei der Verankerung des ESG-Managements: Fast ein Drittel der Unternehmen (29 Prozent) hat diese Funktion noch überhaupt nicht in der Organisation integriert.