Viele Unternehmen haben aktuell mit einer deutlichen Belastung ihrer Ergebnissituation zu kämpfen – und das nicht nur in der Elektroindustrie. Zuvor unvorstellbare und nicht zu antizipierende Preissteigerungen für Rohstoffe, Vorprodukte, Energie und in der Folge auch deutlich steigende Löhne belasten die Kostenposition. Ist das Unternehmen im Kern gesund, steht die mittelfristige (Wieder-) Herstellung der Zielprofitabilität daher weit oben auf der Management-Agenda. Strauchelnde Unternehmen müssen hingegen sehr kurzfristig nicht nur auf die Ergebnis-, sondern eher auf die Liquiditätssituation achten. Hinzu kommt: Aus makroökonomischen und geopolitischen Faktoren erwächst für alle eine große Unsicherheit hinsichtlich der zukünftigen Marktentwicklung. Und nun? Ein kräftiger Tritt auf die Kostenbremse? Das greift zu kurz – die Aktivierung des zusätzlichen Ergebnishebels Pricing kann zum Erfolgsfaktor in unsicheren Zeiten werden.
Die Elektronindustrie erwartet nach Branchenverband ZVEI für 2023 ein reales Produktionsniveau auf dem Niveau des Vorjahrs. Aufgrund der rezessiven Tendenzen in vielen Abnehmerbranchen sind substanzielle Mengensteigerungen häufig nicht zu realisieren. Wer nach der Umsatzgleichung somit durch Kostensenkungen und Preissteigerungen die Ergebnissituation verbessern will, steht vor zwei Herausforderungen:
Zum einen entstehen zwischen kosten- und preisbezogenen Maßnahmen immer wieder Wechselwirkungen. Wer beispielsweise seine Vertriebsmannschaft reduziert, läuft unmittelbar Gefahr, die Fähigkeit zur Preisdurchsetzung negativ zu beeinflussen; kostenmotivierte Anpassungen von Operationskapazitäten können den Servicelevel gegenüber den Kunden belasten. Zum anderen haben kosten- und preisbezogene Maßnahmen gegebenenfalls negative Auswirkungen auf die Zukunftspotenziale des Unternehmens. Unmittelbar deutlich wird dies beispielsweise, wenn F&E-Investitionen gekürzt werden: Die Fähigkeit zur Entwicklung neuer Produkte wird beeinträchtigt, aber auch ein „Überziehen“ beim Hebel Preis kann das zukünftige Geschäft mit den betroffenen Kunden gefährden.
Schritt für Schritt durch die Maßnahmenpakete
Ein abgestimmter Ansatz, der Wechsel- und Zukunftswirkungen explizit berücksichtigt, so dass Priorisierungsentscheidungen systematisch und unter Einbezug der möglichen Implikationen getroffen werden können, schafft hier Abhilfe.
Kostensenkungsmaßnahmen sollten in einem ersten Schritt folgendermaßen hinterfragt werden:
- Welches Kostenpotenzial ist mit einer Maßnahme verbunden?
- Wie steht es um die zeitliche Realisierbarkeit einer Kostenmaßnahme?
- Unterminieren die Kostenmaßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens?
Durch die Beantwortung dieser Fragen können sämtliche Maßnahmen operationalisiert, systematisch bewertet und letztlich priorisiert werden. Analog sind auch für die Auswahl von Pricing-Maßnahmen die Kriterien finanzielles Potenzial, zeitliche Realisierbarkeit und Beeinträchtigung der Zukunftspotenziale relevant. Eine entsprechende Bewertung macht dann die Priorisierung der identifizierten Maßnahmen möglich.
Wie das konkret aussehen kann? Zunächst sind grundsätzlich geeignete Kosten- und Preismaßnahmen separat zu entwickeln und zu bewerten. Dazu werden jeweils in einem ersten Schritt die finanziellen Potenziale für jede Einzelmaßnahme quantifiziert. In einem zweiten Schritt wird der Zeitbedarf überprüft, bis wann die Maßnahmen voll wirksam werden. Schließlich ist abzuschätzen, ob diese negative Auswirkungen auf die Zukunftspotenziale des Unternehmens haben und somit überhaupt wünschenswert sind – oder ob das erreichbare Potenzial mit einem Abschlag versehen werden muss. Das Ergebnis: Sowohl für den Hebel „Kosten“ als auch für den Hebel „Preis“ entsteht jeweils eine priorisierte und quantifizierte Liste von Maßnahmen.
Ein Hersteller von industrieller Informations- und Kommunikationstechnik hatte beispielsweise die Beschaffungs- und Entwicklungsgemeinkosten als wesentliche Schwerpunktbereiche für Kostenmaßnahmen identifiziert. Preisseitig wurde ein Ansatz verfolgt, der sich auf ausgewählte Fokuskunden konzentrierte. Hier sollte auf Basis der Einschätzungen der jeweiligen Key Account Manager die breite Palette von Preismaßnahmen einzelkundenspezifisch eingesetzt werden.
Legt man dann beide Listen nebeneinander, so zeigt sich, dass ein Teil der Maßnahmen unabhängig voneinander ist. Haben Kostenmaßnahmen jedoch Auswirkungen auf Preismaßnahmen oder umgekehrt, gibt es Abstimmungsbedarf. Das o. g. Unternehmen strebte kostenseitig an, die Gemeinkosten für die Anpassungsentwicklung (Application Engineering) zu reduzieren. Gleichzeitig war aber auch geplant, den Kunden noch passgenauer auf die jeweiligen Anforderungen zugeschnittene Lösungen anzubieten und dafür ein höheres Preisniveau zu realisieren.
Bestehen darüber hinaus Zielkonflikte? Ergibt sich schließlich in Summe eine zu starke Belastung der zukünftigen Erfolgspotenziale? Falls ja, muss hebelübergreifend mit Hilfe von Eintrittswahrscheinlichkeiten und adjustierten Potenzialschätzungen priorisiert und die Maßnahmen optimal untereinander abgestimmt werden. Das Ergebnis: Maximale Ergebniswirkung im Verhältnis zur Belastung der Zukunftspotenziale.
Lessons learned: Ohne ein Miteinander geht es nicht!
Substanzielle Ergebnissteigerung sind im aktuellen Umfeld nur durch den kombinierten Einsatz der Hebel „Kosten“ und „Preis“ erreichbar. Eine wechselseitige Abstimmung ist dabei das A&O, um substanzielle Potenziale auszuschöpfen. Aktuell werden in vielen Unternehmen Kostensenkungsprogramme typischerweise vom Top Management angestoßen und zentral gesteuert, wohingegen das Pricing grundsätzlich deutlich zurückhaltender angepasst wird. Bei Preissteigerungsprogrammen erfolgt zwar die Vorgabe eines Ergebnissteigerungsziels top down, aber es ist dann Aufgabe des Vertriebs dieses Ziel möglichst schonend für die Kundenbeziehungen zu realisieren.
Klar ist: Unternehmen und Großhandel der Elektrobranche, die vor der Notwendigkeit einer substanziellen Ergebnissteigerung stehen und dabei Zukunftspotenziale und Wettbewerbsposition nicht gefährden wollen, kommen an diesen Ergebnishebeln im Rahmen eines abgestimmten Ansatzes nicht vorbei.
Autor: Dr. Michael Staudinger, Mitglied der Geschäftsleitung, Dr. Wieselhuber & Partner GmbH, München